Fluch der Leidenschaft
sei. Henry hatte sich dazu nur kurz angebunden, aber energisch geäußert: Die Ehe müsse Bestand haben, und er wolle, dass Imogen sofort nach Carrisford zurückkomme und ihre Rolle als Gemahlin erfülle.
Ihr Tun ergab keinen Sinn. Wenn sie Zuflucht suchte, dann sicher nicht in diesem Kloster; außerdem würde man ihr nicht gestatten, dort zu bleiben, selbst wenn Carrisford der Patron war. Die Vorschriften erlaubten nicht, dass Frauen im Kloster übernachteten.
Der Pförtner hatte gesagt, sie sei im Krankenzimmer, hatte ihm aber versichert, dass sie weder krank noch verwundet sei. Dorthin war FitzRoger nun unterwegs, und wenn nötig, würde er sie an ihren schönen blonden Haaren nach Hause schleifen. Und er hatte gute Lust, sie zu verprügeln.
Auf halbem Weg über den Klosterhof hörte er plötzlich Gesang und hielt abrupt inne.
Es war die Zeit des Tagesschlussgebets; der tröstliche, fließende Chor der Mönche vereinte sich mit dem Zwitschern der Vögel und dem Summen der vielen Insekten. Diese Welt der Ordnung und der Ruhe machte ihm eindringlich den Blutgeruch an seiner Kleidung bewusst, der von der einzigen Beute dieses Tages stammte.
Vielleicht hätte er sich Zeit für ein Bad nehmen sollen.
Die Brüder sangen von ihrer Furcht vor der Finsternis und vor einem Tod in Sünde – der ewigen Nacht. Sie erflehten Gottes barmherzigen Schutz vor den dräuenden Schatten.
Als Junge hatte FitzRoger eine kurze Zeitspanne im Kloster verbracht. Die Familie seiner Mutter hatte ihn jedoch in eines in England geschickt; Roger von Cleeve erfuhr davon und zwang den Abt, ihn hinauszuwerfen.
Damals war er nach Cleeve gekommen, und damit hatte sein jetziges Leben begonnen.
Roger von Cleeve hatte kurzerhand befohlen, seinen ungeliebten Sohn ins Verlies zu werfen – mit der Absicht, ihn einfach dem Vergessen anheimfallen zu lassen. In diesem Höllenloch hatte das zu Tode verängstigte Kind versucht, sich mit dem Tagesschlussgebet die Finsternis mit ihren Ungeheuern und Dämonen fernzuhalten.
Vergebens.
Diese Zeit des Grauens hatte ihre Spur hinterlassen in der Form der einen Schwäche, die FitzRoger nie wirklich überwunden hatte: der Furcht vor engen, dunklen Räumen.
Inzwischen hatte er sich mit Zähnen und Klauen einen Platz im Licht erkämpft, doch nun war eine neue Finsternis in sein Leben getreten – in Gestalt dieses schwierigen Mädchens, das er zwar brechen, aber nicht gefügig machen konnte, und das ihn im Schachspiel besiegte.
Was ihn an sein Vorhaben erinnerte. Er schritt weiter.
Bruder Miles war nicht in der Kapelle, sondern er kam aus einem Korridor, der zur Krankenstation führte. »Guten Abend, Mylord.«
»Guten Abend, Bruder. Ich glaube, meine Gemahlin ist hier.« Wegen der schlafenden Patienten sprachen sie leise.
FitzRogers Ton ließ Wachsamkeit in die Miene des Mönchs treten. »Richtig, Lord Cleeve. Sie wacht am Bett von Bert von Twitcham.«
»Weshalb?«
»Ich glaube, sie spürt so etwas wie Verantwortung.«
»Beim Heiligen Kreuz, wenn ich am Sterbebett jedes Mannes sitzen würde, den ich in den Tod geschickt habe, bekäme ich Schwielen davon.«
»Aber Ihr habt jeden Tag einen Besuch hier gemacht, Mylord.«
Die Blicke der beiden Männer trafen sich – der eine groß an Körperkraft und im Kriegshandwerk, der andere im Geiste und im Wissen um die menschliche Gebrechlichkeit.
FitzRoger ergriff als Erster das Wort. »Ihr seht aus, als würdet Ihr mir den Korridor versperren wollen, Bruder Miles.«
»Ich bezweifle, dass ich Euch aufhalten könnte, wenn Ihr mich überwältigen wolltet, Lord Cleeve, aber wenn Ihr beabsichtigt, Eure Gemahlin zu schlagen, dann tut das bitte anderswo.«
»Weshalb sollte ich sie denn schlagen wollen?«
»Gute Frage, aber Euer Auftreten vermittelt ebendiesen Eindruck.«
FitzRoger lockerte seine Haltung. »Ich will sie lediglich nach Hause holen. Man kann die Wünsche des Königs nicht derart missachten.«
Bruder Miles trat sofort zur Seite.
FitzRoger ging weiter und hörte schon bald die Stimme seiner Gemahlin. Sie sprach leise und klang etwas heiser. Was in aller Welt machte sie?
Imogen hatte längst alle Geschehnisse der letzten Tage berichtet, aber immer wenn sie zu reden aufhörte, machte Berts Hand diese schwache Bewegung, als wolle er sie auffordern weiterzusprechen. Sein Zustand hatte sich merklich verschlechtert; an die Stelle des heißen Fiebers war ein klammer Schweiß getreten. Bruder Miles war vorbeigekommen und hatte dem Patienten eine Arznei
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