Fluch der Meere (Historischer Roman) (German Edition)
aus Standesgründen. Eine Prinzessin durfte sich nicht zu sehr gehen lassen. So schwer es ihr fiel, sie musste Haltung bewahren. Wenn sie ansonsten auch kaum Wert auf Etikette legte, wusste sie dennoch, was einer Frau geziemte. Das war nicht nur eine Frage ihrer Stellung, sondern vor allem auch eine Frage ihres Geschlechtes. Niemand hätte Verständnis dafür gehabt, hätte sie ihre Sympathien dem Lord gegenüber allzu offen gezeigt. Nein, den entscheidenden Schritt musste natürlich er tun. Ihr blieb lediglich, ständig Signale zu setzen, um ihn zu ermuntern - und dabei zu hoffen, dass er ihre Signale auch wirklich verstand.
Bisher hatte sie darin kein Problem gesehen. Ihre Hoffnung war längst Vater aller Gedanken geworden, weshalb sie eben Dinge sah und hinein interpretierte, die nicht wirklich da sein mussten.
Sie lächelte galant und streckte ihr Rechte aus.
Der Lord bedachte ihren Handrücken prompt mit dem Hauch eines Kusses.
Die Berührung elektrisierte die junge Prinzessin so sehr, dass sie für Augenblicke Angst hatte, den Boden unter ihren Füßen zu verlieren. Sie brauchte viel Mühe, um sich soweit zusammen zu reißen, dass es ihr niemand anmerkte.
"Ein stolzes Schiff nennt Ihr Euer Eigen!", lobte die Prinzessin, nur um abzulenken.
"Es gehört mir natürlich nicht, sondern es ist Eigentum Ihrer Majestät, der Königin von England, persönlich. Ich darf mich nur glücklich schätzen, es befehligen zu dürfen."
Carla verstand es nicht als Richtigstellung, denn sie zeigte sich nur noch erfreuter.
"Ich muss leider gestehen, von der christlichen Seefahrt so gut wie gar nichts zu verstehen. Allerdings: Wie lange haben wir noch bis London?"
"Wenn das Wetter uns keinen Strich durch die Rechnung macht und alles gut verläuft, könnten wir morgen bei Einbruch der Nacht angelangt sein."
"Beinahe wünschte ich mir, die Fahrt würde länger dauern - vielleicht ewig?"
"So? Warum? Wenn Ihr die Frage erlaubt."
"Es gibt für mich noch so vieles zu lernen über die christliche Seefahrt und ich kenne keinen, der kompetenter wäre als Ihr, mir alles haarklein zu erklären. Am besten jedoch dürfte das an Bord des Schiffes sein. Wenn wir aber erst mal in London angelangt sind..."
"Nun, gestern war ich noch Euer liebster Lehrer in Sachen Benimm und höfische Verstellung", lächelte er.
"Das seid Ihr nach wie vor, aber alles zu seiner Zeit, nicht wahr? Hier an Bord gibt es andere Prioritäten. Drum mein Bedauern wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit. Ich fürchte, sie reicht bei weitem nicht, mich auch nur in die Grundzüge der christlichen Seefahrt einzuweihen."
"Das allerdings fürchte ich auch, mit Verlaub, Prinzessin. Wozu auch wollt Ihr das alles wissen?"
"Na, wenn sich schon mal eine solche Gelegenheit ergibt... Ich wüsste wirklich niemanden, der geeigneter wäre, mich zu lehren, als Ihr, wie schon erwähnt."
Vor allem werdet Ihr dann die ganze Zeit über mir Gesellschaft leisten müssen - zwangsläufig!, fügte sie in Gedanken hinzu.
"Es gäbe nichts, was ich lieber täte, verehrte Prinzessin, aber Ihr versteht, dass ich mich nicht ausschließlich Eurem wahrhaft vorbildlichen Wissensdurst zu widmen vermag? Ihr versteht, dass es Pflichten für mich als Kommandant eines so großen Schiffes gibt... zumal mit einem solch wertvollen Passagier an Bord wie Ihr es seid!" Sie zog prompt einen Schmollmund.
"Das habt Ihr wunderschön formuliert, auch wenn mir der Kern der Aussage ganz und gar nicht gefallen mag. Ich hätte doch auf mehr Aufmerksamkeit Ihrerseits gehofft, meine Person betreffend."
"Darf ich Euch bei dieser Gelegenheit ein Kompliment aussprechen?
Ich finde, in der kurzen Zeit, die seit unserer ersten Begegnung an Bord das Piratenschiffes vergangen ist, hat sich Euer Englisch in einem schier schwindelerregenden Maße verbessert."
"So, findet Ihr?" Sie bemerkte gar nicht, dass er damit nur das Thema wechseln wollte, weil er eher allzu ausgedehntes Beisammensein vermeiden wollte und das nicht gerade ihr gegenüber ausführlich zu begründen gedachte. Bei jedem anderen wäre es der Prinzessin aufgefallen, aber wenn der Lord so zu ihr sprach...
"Ja, das ist allzu offensichtlich, verehrte Prinzessin. Nur Euer Akzent, den habt Ihr euch bewahrt. Gottlob, wie ich bemerken darf."
"Gottlob?"
"Ich muss gestehen, dass gerade Euer Akzent etwas ganz Besonderes ist. Er schmeichelt unserer Landessprache gar im beachtlichen Maße." Hätte sie von Naismith eine solche Schmeichelei erfahren, wäre
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