Fluch der Nacht: Roman
ging durch ihren Körper, ihr Kopf fuhr hoch, und sie starrte ihn aus brennenden Augen an. Als wüsste sie Bescheid. Dann kam sie langsam auf ihn zu. Mit wild klopfendem Herzen zog sich Nicolas in die tieferen Schatten zurück. Schon jetzt konnte er den Geschmack der Frau in seinem Mund und ihre zarte Haut an seiner spüren. Sein Blut geriet in Wallung.
Sie war von durchschnittlicher Größe, was sie neben ihm fast klein erscheinen ließ, aber sie hatte hübsche weibliche Rundungen und sah sehr kräftig aus. Ihre Bewegungen waren von fließender Anmut, nicht zögernd oder stolpernd, so als setzte sie sich gegen einen Zwang zur Wehr. Als sich für einen Moment die Wolken teilten und Licht auf ihr Gesicht fiel, verkrampfte sich Nicolas’ Magen.
Bleib stehen! Kehr um! Geh hinein! Er musste sie retten. Seine Hände zitterten – zitterten! –, und möge er für immer in der Hölle landen, aber sein Körper reagierte mit einem solch scharfen, heißen Ziehen in den Lenden und einer Sehnsucht nach ihr, wie er sie in seiner ganzen endlos langen Lebenszeit noch nie erfahren hatte. Ihr Leben, selbst ihre Seele – ebenso wie die seine –, waren in Gefahr. Aber obwohl er sie in Gedanken warnte, machte er einen Schritt in ihre Richtung. Weil er sie begehrte. Weil er sie brauchte. Doch wenn er sie berührte, ihr zu nahe kam, würden sie beide verloren sein.
Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, sie presste ihre linke Hand an ihren Bauch und blieb dann mit verwirrter Miene stehen.
Prüfend sah Lara den großen, breitschultrigen Fremden an, der auf sie zukam, und dachte, dass er der schönste Mann war, den sie je gesehen hatte. Sein Gesicht war von klassischer männlicher Schönheit, seine Augen waren so dunkel, dass sie schon fast schwarz aussahen, aber wenn er sich auf eine gewisse Weise drehte, glühten sie wie Rubine, was ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen ließ. Er bewegte sich mit unglaublicher Anmut, einer fließenden Eleganz, die seine Muskeln zum Spielen brachte wie die einer großen Dschungelkatze auf der Jagd.
Lara reagierte nie auf Männer, egal, wie attraktiv sie waren. Ihr Körper blieb kalt und gefühllos wie die eisigen Mauern, zwischen denen sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hatte – doch als sie diesen Mann ansah, veränderte sich plötzlich alles. Ihr Atem ging schneller, ihr Puls begann zu rasen, ihr Magen überschlug sich – ja, selbst ihr Schoß reagierte und zog sich heiß zusammen. Aber ebenso reagierte ihr Muttermal. Und ihr Muttermal kündigte immer nur die Ankunft eines ganz bestimmten Wesens an – eines Vampirs.
Das Problem war, dass ihr Muttermal eine Art Kurzschluss zu haben schien. Gerade eben hatte es noch mit versengender Hitze gebrannt, und im nächsten Augenblick war es schon wieder kühl und leblos. Unter dem langen Pulloverärmel hielt Lara ihr Messer umklammert, mit der Klinge nach oben und den Griff fest in der Hand. Sie wollte nichts riskieren, egal wie gut aussehend und interessant der Fremde war.
Und diese Stimme! Hatte sie sie nur in ihrem Geist gehört? Weich wie Samt und überaus verführerisch. Wie eine nächtliche Melodie voll dunkler Verheißungen, die in einem Moment lockten und im nächsten abwiesen. Als er versucht hatte, sie das erste Mal durch geistigen Zwang zu sich zu locken, war sie sicher gewesen, dass er ein Vampir war, der ihr Blut nehmen wollte. Aber seltsamerweise schien er gleich darauf zu versuchen, sie zu warnen, obwohl er weiter auf sie zukam und seine schwarzen Augen über ihr Gesicht glitten, als gehörte sie ihm schon.
Nicolas konnte nicht aufhören, auf sie zuzugehen – als wäre er derjenige, der unter Zwang stand. Er würde Mikhail zu Hilfe rufen müssen, um sie zu retten. Aber er war schon so von Sinnen, dass er sich dann womöglich gar einen Kampf mit dem Prinzen um sie liefern würde. Und Mikhail durfte auf gar keinen Fall gefährdet werden, wenn ihre Spezies überleben sollte.
Geh!, warnte er sie erneut mit leiser, fester Stimme auf einem geistigen Verbindungsweg, aber ohne einen Zwang in seinen Ton zu legen. Denn sosehr ein Teil von ihm sie auch retten wollte, konnte der andere, der wie losgelöst danebenstand und nach einem Moment des wahren Lebens gierte, nicht nobel genug sein, um ihr bei der Flucht vor ihm zu helfen.
Sie drehte sich um und suchte mit dem Blick die Schatten und die Dächer nach Gefahren ab. Nicolas war schon fast bei ihr, als sie sich ihm wieder zuwandte. Aus der Nähe betrachtet, war sie sehr
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