Fluch, Der: Roman
widersprach Houston. Er klang verärgert. »Das Schlimme an diesen Problemen ist, daß sie immer paarweise auftreten, in Trios, ja in ganzen Scharen. Es kommt niemals eines nach dem anderen. Die Psychiater haben die höchste Selbstmordrate pro zehntausend Angehörigen ihres Berufsstandes, Billy, aber die Polizisten stehen ihnen darin nicht sehr nach. Vermutlich hat sich eine Kombination von mehreren Faktoren ergeben – und der Akneausbruch könnte dabei der Tropfen gewesen sein, der das Faß um Überlaufen gebracht hat.«
»Sie hätten ihn sehen sollen«, erwiderte Billy grimmig.
»Das war kein Tropfen. Das war der ganze verdammte Ozean.«
»Da er uns keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat, werden wir es wohl niemals erfahren, nicht wahr?«
»Jesus«, sagte Billy und fuhr sich mit der freien Hand nervös durch die Haare. »Jesus Christus.«
»Außerdem tun die Gründe für Duncan Hopleys Selbstmord hier nichts zur Sache.«
»Für mich schon«, widersprach Billy. »Und ob.«
»Es kommt mir aber eher so vor, als ob es hier in Wirklichkeit um etwas anderes geht. Ihre Psyche spielt Ihnen einen bösen Streich, Billy. Sie sind in eine Schuldfalle getappt. Sie haben da eine Meise, eine, die Ihnen etwas über Zigeunerflüche einflüstert ... und als Sie in jener Nacht zu Duncan Hopley gegangen sind, da haben Sie einfach etwas gesehen, was gar nicht existierte.« Er hatte jetzt einen warmherzigen Mir-können-Sie-alles-sagen-Ton angeschlagen. »Haben Sie vorher zufällig noch mal kurz in Andy's Pub hineingesehen, um noch ein paar Gläser zu trinken? Sie wissen schon, nur, um sich für die Begegnung ein wenig Mut zu machen?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher? Heidi hat mir gesagt, daß Sie sich in letzter Zeit sehr häufig bei Andy aufgehalten und dort einige Stunden verbracht hätten.«
»Wenn das wahr wäre«, konterte Billy kaltschnäuzig, »dann müßte Ihre Frau mich ja wohl dort gesehen haben, glauben Sie nicht?«
Es folgte ein langes Schweigen. Dann sagte Houston tonlos:
»Das war verdammt tief unter der Gürtellinie, Billy. Aber, das ist, ehrlich gesagt, genau der Kommentar, den ich von einem Mann erwarte, der unter äußerster psychischer Belastung steht.«
»Äußerste psychische Belastung, psychische Anorexie, ihr Typen habt wohl für alles euren Fachausdruck. Aber Sie hätten ihn sehen sollen! Sie hätten sehen sollen, wie er ...«
Billy unterbrach sich. Er mußte wieder an die entzündeten Pusteln auf Hopleys Wangen denken, an die Nase, die in dieser grausamen Landschaft, in diesem zerstörten Gesicht fast nicht mehr zu erkennen gewesen war.
»Billy, verstehen Sie denn nicht, daß Ihre Psyche krampfhaft nach einer logischen Erklärung für das sucht, was mit Ihnen geschieht? Sie fühlt sich schuldig wegen dieser Zigeunerin, und deshalb ...«
»Der Fluch war vorbei, nachdem er tot war«, hörte Billy sich plötzlich sagen. »Vielleicht hat es deshalb nicht mehr so schlimm ausgesehen. Es ist genauso wie in den Werwolffilmen, die wir uns als Kinder angesehen haben, Mike. Wenn der Werwolf schließlich getötet ist, wird er wieder ganz zum Menschen!«
Aufregung ersetzte die Verwirrung, die ihn befallen hatte, als er die Nachricht von Duncan Hopleys Tod und seiner mehr oder weniger ganz normalen Hautkrankheit gehört hatte. Seine Gedanken überschlugen sich jetzt auf ganz neuen Wegen, erforschten sie eilig, wägten die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten gegeneinander ab.
Wohin geht so ein Fluch, wenn der Verfluchte schließlich ins Gras beißt? Scheiße. Ebensogut könnte man danach fragen, wohin der letzte Atemzug eines sterbenden Menschen geht. Oder seine Seele. Weg, natürlich. Er geht einfach weg. Weg, weg, weg. Gibt es da vielleicht auch einen Weg, ihn weggehen zu lassen?
Rossington – der war der erste. Rossington da draußen in der Mayo-Klinik, der sich verzweifelt an den Gedanken klammerte, daß er Krebs hatte, weil die Alternative um so vieles schrecklicher war. Würde er sich, wenn er starb, auch wieder zurückverwandeln, wieder normal werden ...?
Ihm wurde bewußt, daß Houston schon eine Weile schwieg. Und wieder hörte er das Geräusch im Hintergrund, unangenehm vertraut ... ein Schluchzen. Schluchzte Heidi etwa so?
»Warum heult sie?« fragte er grob.
»Billy...«
»Geben Sie sie mir mal!«
»Billy, wenn Sie sich hören könnten...«
»Verflucht noch mal, geben Sie sie mir!«
»Nein, das werde ich nicht tun. Nicht, solange Sie sich so aufführen.«
»Hören Sie mal, Sie
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