Fluch von Scarborough Fair
Dass ich der Polizei nicht erzählt habe, was wirklich passiert ist. Es hätte keinen Sinn gehabt.« Ihre Stimme war angespannt.
» Soledad und Leo waren derselben Meinung wie du«, sagte Zach vorsichtig.
» Aber du nicht, das hab ich gemerkt.«
» Ich glaube nicht, dass es falsch war.« Zach beschloss, ganz offen zu sein. » Mir gefällt nur nicht, dass er ungeschoren davonkommt. Na, komm schon, Luce. Das ganze Getue in den Medien, was für ein guter Junge er war. Und seine Eltern, die pausenlos betonen, dass er ein Gottesgeschenk war.« Zach versuchte, ruhig zu bleiben, aber es klappte nicht. Er presste die Lippen zusammen.
Lucy setzte sich seitwärts, schob ein Bein unter das andere und sah Zach an. » Er hat seine Strafe bekommen. Er ist tot.«
» Gut«, meinte Zach. Er drehte sich jetzt ebenfalls ganz zu Lucy um. Die Lichter auf dem Parkplatz der Eisdiele waren angegangen, und er konnte deutlich ihr Gesicht sehen. » Hoffentlich musste er leiden. Hoffentlich stimmt es, dass sich, wenn man stirbt, die letzten Momente des Lebens vor einem ausbreiten und sie einem endlos erscheinen. Ich hoffe, seine letzten Momente waren qualvoll. Physisch und psychisch.«
Lucy schaute weg und sagte leise: » Ich weiß, was du meinst. Ich hab das auch schon gehofft.«
Wie sie da so über ihr Eis gebeugt saß, hätte Zach sie am liebsten umarmt. Aber er war nicht sicher, wie sie auf die Berührung eines Jungen– auch wenn er es war– reagieren würde. Lucy musste den ersten Schritt tun. Sein Hass auf Gray Spencer wuchs.
» Außerdem hoffe ich, dass es wirklich eine Hölle gibt und er darin schmort.«
Lucy antwortete nicht, unterbrach Zach aber auch nicht, als er genüsslich all die Qualen aufzählte, die man vermutlich in der Hölle erleiden musste. Er wurde dadurch belohnt, dass Lucy ihm zuhörte und dabei weiter ihr Eis aß. Es war wunderbar entspannend, sich vorzustellen, wie Gray Spencer am Spieß gebraten wurde, während ein paar Teufel um ihn herum tanzten und ihn mit Mistgabeln traktierten.
Bei dieser Vorstellung musste selbst Lucy ein wenig lächeln. Dann huschte ein Schatten über ihr Gesicht. Sie biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn.
Vielleicht, dachte Zach, wurde Gray in der Hölle ja jeden Tag von einer Bande Krimineller vergewaltigt. Aber das konnte er Lucy nicht sagen. Stattdessen sagte er etwas, das wohl eher für ihn selbst als für sie gedacht war: » Es ist okay, ihn zu hassen, Luce. Du brauchst kein Mitleid mit ihm zu haben. Ich hab es auch nicht.«
Lucy sah ihm wieder direkt ins Gesicht. » Obwohl er tot ist?«
» Ja. Ich bin froh, dass er tot ist. Er hat den Tod verdient. Ich glaube, das wusste er auch, und deshalb ist er gegen diesen Baum gefahren. Ich denke, es war Absicht. Er hat sich selbst gerichtet. Wenn du mich fragst, war das das einzig Gute, das er getan hat.«
» Darüber hab ich mir auch schon Gedanken gemacht«, meinte Lucy. » Denn auch wenn bei der Autopsie festgestellt wurde, dass er betrunken war– er hat wirklich keinen Tropfen Alkohol angerührt. Jedenfalls nicht, solange er mit mir zusammen war. Sie müssen einen Fehler gemacht haben, oder er hat im letzten Moment noch was getrunken, oder– ach, ich weiß nicht.«
Zach schwieg. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Autopsiebericht fehlerhaft war.
» Aber angenommen, er hat sich wirklich absichtlich umgebracht«, sagte Lucy. » Hast du in diesem Fall auch kein Mitleid mit ihm?«
» Nein.«
Zach hatte sein Eis schon längst aufgegessen und verschränkte jetzt die Arme über der Brust.
Lucy blickte erstaunt auf ihren leeren Eisbecher und stellte ihn beiseite. » Zach?«
» Ja?«
Sie holte tief Luft. » Kann ich dich was Persönliches fragen?«
» Na klar.«
» Bist du noch Jungfrau?«, platzte sie heraus.
Zach brauchte einen Moment, um die Frage zu verdauen. Was sollte das? Er wollte darauf nicht antworten. Aber wenn Lucy es unbedingt wissen wollte…
Trotzdem kam es ihm nur schwer über die Lippen. » Ja«, sagte er nach einer Weile. » Weißt du, das ist so eine Sache. Gelegenheiten gab’s genug, aber trotzdem… Also, ja. Ja.«
Lucy nickte und sagte nichts.
Etwas abwehrend fügte Zach hinzu: » Sieh mal, ich höre mir alles an, was du zu sagen hast, Luce. Du brauchst keine Rücksicht auf meine Unschuld zu nehmen.«
» Oh!« Lucy schaute auf. » Das wollte ich auch gar nicht. Ich wollte dich eigentlich nur was fragen. Und, ach, ich weiß nicht. Du bist schließlich ein Junge. Ich dachte, dass
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