Fluch von Scarborough Fair
sie tun muss, um sich und ihr Baby zu retten.
Lucinda, bitte glaub Du mir auch. Halte mich nicht für verrückt. Ich bin nicht verrückt, während ich das hier schreibe, Ehrenwort.
Ich habe schon einen Namen für Dich ausgesucht. Lucinda bedeutet Licht, und der Name klingt ein bisschen wie meiner, auf den ich mir schon etwas einbilde.
Lucinda, sei klug, entschlossen und mutig. Und tue, was ich sage. Ha! Klingt das nicht wie eine richtige Mutter?
Erfülle die Aufgaben in der Ballade. Tu es.
In ewiger Liebe und Zuneigung
Deine Mutter Miranda
Nachdem sie den Brief gelesen hatten, begann Lucy zu zittern. Zach legte den Arm um ihre Schultern und hielt sie fest. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er war einfach fasziniert und wollte rasch noch die aus dem Tagebuch herausgerissenen Seiten lesen.
Aber Lucy hielt immer noch den Brief in der Hand und war anscheinend im Moment nicht in der Lage fortzufahren. Sie hielt den Kopf gesenkt, und die Haare fielen ihr ins Gesicht, sodass Zach nur noch ihre Nasenspitze sehen konnte.
» Luce?«
Ihre Stimme klang rau und verzweifelt. » Was denkst du?«
» Ich glaube, sie hat dich sehr geliebt. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie dich aufgezogen und wäre immer bei dir geblieben.«
» Ja.« In Lucys Stimme lag diese dankbare Verwunderung, die man empfindet, wenn jemand etwas erzählt, das man sofort für wahr hält, obwohl man keine Gelegenheit hat, sich selbst davon zu überzeugen.
» Glaubst du, dass sie schon verrückt war, als sie das geschrieben hat?«, fragte Lucy mit leiser Stimme.
Zach war sich im Klaren darüber, dass er die Wahrheit sagen musste. » Ich weiß nicht. Sie drückt sich in dem Brief sehr deutlich aus, und alles klingt vernünftig. Sie hat auch Sinn für Humor. Wir werden sehen, was auf den restlichen Seiten steht.« Er runzelte die Stirn. » Aber ich frage mich, warum sie nicht das ganze Tagebuch hiergelassen hat. Warum hat sie Seiten herausgerissen?«
» Vielleicht wollte sie ihr Tagebuch behalten«, meinte Lucy. » Vielleicht hatte sie vor, noch mehr hineinzuschreiben. Da waren noch eine Menge leere Seiten.«
» Oder sie war nicht bei klarem Verstand.«
Lucy biss sich auf die Lippe. » Ja.«
Nach einer Weile sagte sie: » Sie schreibt, dass ich mit einer Tochter schwanger sein werde, wenn ich so alt bin wie sie. Und jetzt bin ich schwanger. Was sagst du dazu?«
» Wir kennen das Geschlecht deines Kindes nicht.«
» Meine Ärztin weiß es. Ich wollte es nicht wissen, aber ich kann es jederzeit herausfinden.«
» Selbst wenn es ein Mädchen ist, die Chancen stehen sowieso fifty-fifty. Das hat nichts zu bedeuten. Ein Zufall.«
» Aber die Schwangerschaft? Sie wusste davon, noch bevor ich überhaupt auf der Welt war.«
» Das ist schon irre«, gab Zach zu.
Nachdem sie wieder eine Weile geschwiegen hatten, sagte Lucy entschlossen: » Okay. Lass uns noch den Rest lesen.«
Sie nahm die erste der aus dem Tagebuch herausgerissenen Seiten und hielt sie Zach so hin, dass auch er sie lesen konnte.
Kapitel 28
Während ich mich darauf vorbereite, selbst Mutter zu sein, muss ich ständig an meine eigene Mutter denken, obwohl ich sie kaum gekannt habe. Mir wäre es lieber, ich müsste nicht an sie denken, aber irgendwie verfolgt sie mich.
Meine Mutter war verrückt. Völlig durchgeknallt. Das hat mir von jeher Angst gemacht.
Zum ersten Mal erfuhr ich von ihr von den Leuten, bei denen ich als Kind lebte. Jedes Mal, wenn ich etwas falsch machte, flüsterten sie, das käme daher, weil ich » schwachsinnig« sei.
» Wie ihre Mutter. Sie wird mal genauso enden. Leichtfertig und verlottert. Was kann man auch anderes erwarten. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wir tun, was wir können. Niemand kann mehr verlangen.«
Mehr sagten sie nicht, und ich habe nie nachgefragt. Ich wollte gar nicht mehr wissen. Ich wusste, dass sie mich nicht mochten und dass es etwas mit meiner Mutter zu tun hatte. Und als ich älter wurde, begriff ich, was sie mit » leichtfertig und verlottert« meinten. Zuerst stellte sich heraus, dass meine Mutter mit mir schwanger war, als sie selbst noch ein Teenager war und natürlich nicht verheiratet. Obendrein wusste niemand, wer mein Vater war, weil sie es während der Schwangerschaft nicht sagen wollte, und hinterher drehte sie durch.
Die Leute vermuteten, sie habe ihn gar nicht gekannt.
Ihr Name war Deirdre. Sie war eine Obdachlose, und man traf sie oft im Supermarkt und in der Apotheke. Sie schlenderte durch die
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