Fluch von Scarborough Fair
darum, dass du das nicht allein durchstehen musst. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich alles verstehe, was du tust.«
Lucy zögerte noch.
Zach durchquerte den Raum und nahm die Seiten vom Bücherregal. » Lucy? Lass es uns jetzt gemeinsam lesen. Okay?«
Lucy blinzelte und sagte: » Okay.« Sie war erstaunt, wie erleichtert sie war.
Zach und Lucy setzten sich nebeneinander auf den Fußboden neben Lucys Bett und lasen gemeinsam.
Kapitel 27
Liebe Lucinda,
wie seltsam, Dir zu schreiben, obwohl Du noch nicht einmal auf der Welt bist. Aber es ist auch wunderbar, mit Dir zu sprechen, obwohl ich Angst habe, Angst um Dich und um mich. Ich kann Dich jetzt unter meinem Herzen spüren. Du bist wach und aufmerksam. Du trittst und boxt jetzt sehr oft in meinem Bauch. Es ist nicht mehr genug Platz da drin, aber Du bist trotzdem gut gelaunt. Du spielst mir diese kleinen physischen Streiche, die mich zum Lachen bringen.
Ich hab Dich jetzt schon gern. Ich habe so viele Bücher über Schwangerschaft gelesen und hatte so viele Gespräche mit Soledad (ich hoffe und bete, dass Du Soledad kennenlernst), aber das hat bis jetzt noch niemand erwähnt. Alle reden von Liebe und Zärtlichkeit und Fürsorge, aber wenn man schwanger ist, kann man auch einfach die Hände auf den Bauch legen und das Baby und dessen Persönlichkeit spüren und es ganz einfach gern haben.
Du kannst jetzt jeden Tag auf diese Welt kommen. Ich muss dafür sorgen, dass Du alles erfährst, was ich weiß. Ich glaube, dass dieser Brief und mein Tagebuch die einzige Möglichkeit sind, Dir meine Kenntnisse über unsere Familiengeschichte zu übermitteln. Du sollst mehr haben als nur das Lied. Das Lied war alles, was ich hatte. Es ist alles, was ER uns erlaubt, in dem Spielchen, das er mit unserer Familie treibt.
Aber das sind seine Regeln und nicht meine. Vielleicht findet er ja diesen Brief oder die Seiten, die ich für Dich aus dem Tagebuch herausgerissen habe, nicht.
Ich habe Folgendes herausgefunden: Wir sind Frauen, die mit achtzehn Jahren Töchter bekommen und dann verrückt werden. Meiner Mutter ist es so ergangen, und bei mir wird es ebenso sein. Es ist nicht unsere Schuld. Wir stehen in einer langen Reihe von Frauen, die verflucht sind. Aber es gibt vielleicht eine Möglichkeit, den Fluch zu brechen. Ich habe es nicht geschafft. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich meine Mutter, und ich habe solche Angst, dass Du enden wirst wie wir: verdammt, verflucht… Das klingt alles so melodramatisch und lächerlich, aber es ist wahr.
Wenn Du so alt bist wie ich und schwanger, darfst Du Deine Tochter nicht im Stich lassen, solange ich Dir rechtzeitig verrate, was los ist. Ich selbst habe zu spät von dem Fluch erfahren. Ich hatte nur das Lied und das bisschen, was ich über meine Mutter wusste.
Ich habe nicht mehr viel Zeit, nicht genug, um alles korrekt und vernünftig niederzuschreiben. Deshalb werde ich einfach die wichtigen Seiten aus meinem Tagebuch herausreißen, auf denen beschrieben ist, wie ich die Ballade zum ersten Mal hörte, wie ich versuchte, das zu tun, was darin verlangt wird, und wie ich scheiterte. Erfülle die Aufgaben in der Ballade und Du bist gerettet. Es ist ebenso einfach wie schwierig. Ich glaube, es gibt einen Weg, obwohl mir die Lösung der Aufgaben im Augenblick unmöglich erscheint.
Ich werde die Seiten in einem Versteck in meinem Zimmer deponieren, hier in Soledads und Leos Haus. Ich werde beten, dass Du sie findest, oder dass Soledad und Leo sie für Dich finden.
Ich bete auch, dass Du bei Soledad und Leo leben wirst. Ich bat Soledad, dass sie Dich zu sich nehmen soll, wenn mir etwas zustößt. Sie begriff nicht, wie ernst es mir war, aber ich wollte nicht, dass sie mich für verrückt hält, deshalb sagte ich nichts weiter. Aber sie wird sich daran erinnern. Sie will ein Kind, kann aber kein eigenes bekommen. Sie reden schon von Adoption. Warum solltest Du es nicht sein? Sie werden Dich lieben. Du sollst die behütete Kindheit und die liebevollen Eltern haben, die ich nie hatte. Das wünsche ich mir für Dich.
Lucinda, es ist ein Wunder, dass ich Soledad und Leo getroffen habe, als ich sie am dringendsten brauchte, und das gibt mir Hoffnung. Es ist das Einzige, was mir in meinem Leben geglückt ist.
Soledad. Leo. Wenn Ihr das lest: Wisst, dass ich Euch liebe. Danke, dass Ihr Euch um mich kümmert und dass Ihr für meine Tochter sorgt. Ich weiß, Ihr werdet es tun. Glaubt mir, ich meine es ernst. Helft Lucinda, das zu tun, was
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