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Fluch von Scarborough Fair

Fluch von Scarborough Fair

Titel: Fluch von Scarborough Fair Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Werlin
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obwohl ich mich hier bei Leo und Soledad eigentlich sicher fühlen müsste. Ich muss ständig an die Ballade denken, die Deirdre mir beigebracht hat, und wie sie sagte, dass wir Scarborough-Mädchen immer versuchen müssten, die Aufgaben in diesem Lied zu erfüllen, und dass es ihre Aufgabe sei, mir das Lied beizubringen.
    Ich habe das Gefühl, dass hier etwas Seltsames vor sich geht. Meine Mutter bekam mich mit achtzehn und wurde anschließend verrückt. Und jetzt bin ich selbst mit achtzehn schwanger.
    Ich war vorhin unten und habe mir Leos Balladen-Buch geholt. Ich habe jetzt sämtliche Versionen der Ballade gelesen. Manche sind ganz anders als die, die ich kenne, obwohl sie auch Aufgaben beinhalten und von wahrer Liebe erzählen.
    Aber in meiner Version werden deutlich folgende drei Aufgaben genannt:
Fertige ein Zauberhemd ohne Nadel, Saum und Naht.
Finde einen Morgen Land zwischen Meeresgischt und
Meeresstrand.
Pflüge das Land mit dem Horn einer Ziege und besäe es
mit einem einzigen Samenkorn. (Das sind eigentlich zwei
zusammenhängende Aufgaben, nicht nur eine.)
    Ich habe überlegt, wie man die Aufgaben lösen könnte, aber jetzt bin ich mit meinem Latein am Ende. Ich wünschte, ich hätte in der Schule den Nähkurs besucht. Und von Landwirtschaft verstehe ich noch weniger als vom Nähen.
    Ach, es ist einfach lächerlich. Ich würde es nicht mal Soledad erzählen. Ich sollte es lieber vergessen. Vielleicht hat meine Mutter aus lauter Verrücktheit versucht, die Aufgaben zu lösen, weil ihr Nachname in dem Lied vorkommt. Aber ich bin nicht verrückt und werde es nicht tun.
    Heute habe ich den schönen Mann wiedergesehen. Ich kenne mich zwar mit Elfen und Feen nicht aus, aber ich weiß nicht, wie ich ihn sonst nennen sollte. Den Elfenritter.
    Er ist kein Mensch. Er ist böse. Er ist– ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Mächtig. Unsterblich. Keine Ahnung.
    Ich stecke in großen Schwierigkeiten und habe schreckliche Angst.
    Folgendes ist passiert: Ich hatte gerade das Pflegeheim verlassen, wo ich in der Küche aushelfe. Die Köchin ist sehr nett zu mir. Sie erlaubt, dass ich mich beim Gemüseputzen hinsetze.
    Ich ging den Hügel hinunter in Richtung Soledads und Leos Haus. Die Sonne ging langsam unter, aber es war noch hell genug. Auf halbem Weg, dort wo das Gelände eben wird, bemerkte ich einen Mann. Er stand ganz still da und schaute mich an. Ich sah seine Gestalt, seine Schultern.
    Irgendwie wusste ich, dass es der schöne Mann war. Und ich war froh, ihn zu sehen. Oder besser gesagt, fasziniert und aufgeregt.
    Was bin ich doch für eine Närrin!
    Das Baby fing wie verrückt an zu strampeln. Von Soledad wusste ich, dass Babys das manchmal tun, aber meines hatte es bisher noch nie getan. Ich kam mir vor, als wäre mein Bauch ein Sandsack. Es tat weh, aber ich kümmerte mich nicht darum. Mir war so, als wüsste das Baby, dass hier etwas Seltsames vor sich ging.
    Der Mann stand immer noch da und wartete auf mich. Ich schwebte fast den Hügel hinunter, eine Hand auf meinem Bauch, in dem das Baby gerade tobte.
    Und dann stand ich neben ihm.
    Er leuchtete wie der Mond in einer dunklen Nacht. Ich muss das einfach sagen, obwohl ich inzwischen weiß, dass er böse ist.
    Aber bis heute hatte ich davon keine Ahnung. Ich wusste nur, er würde sich für das Baby interessieren– das Baby, das nur existiert, weil er mich an jenem Abend auf der Party diesem Jungen vorgestellt hatte. » Meine Tochter strampelt gerade«, sagte ich. Dann hob ich mein T-Shirt etwas hoch und forderte ihn auf, es selbst zu fühlen.
    Nur für ein paar Sekunden ruhten seine Hände auf meiner nackten Haut, auf meinem Bauch unter dem T-Shirt.
    Aber in diesem Moment wurde mir klar, dass ich benutzt worden war. Manipuliert. Auf einmal verstand ich alles.
    Er wollte, dass ich es verstehe. Als er mich berührte, offenbarte er mir seine Gedanken, und ich sah die Vergangenheit. Ich sah meine Mutter, als sie so alt war wie ich, und ihre Mutter. Ich kann nicht alles aufschreiben. Es ist zu viel, und es war zu schlimm.
    Er hat uns mit einem Fluch belegt. Mich, meine Mutter, IHRE Mutter und deren Mutter. Die Scarborough-Mädchen. Es steht alles in der Ballade. Es ist nicht bloß ein Lied, es ist ein Fluch. In diesem Moment wurde mir das bewusst.
    Der Mann neigte sich zu mir und flüsterte: » Die drei Aufgaben. Du musst die drei Aufgaben erfüllen. Du wirst es nicht schaffen, aber du musst es trotzdem versuchen, wie es dir deine Mutter aufgetragen

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