Fluch von Scarborough Fair
Hochzeitstag hätte dabei sein können. Aber Miranda war vor ein paar Tagen wieder verschwunden. Direkt vom Gelände des McLean Hospitals. Und Lucy beschlich bei diesem Gedanken ein ungutes Gefühl.
Aber sie konnte nichts dagegen tun.
» Ja«, sagte Lucy, » ich bin bereit.«
Sie stellten sich im Flur auf. Zuerst Sarah mit Pierre an der Leine, und dann Lucy, eingerahmt von ihren Eltern.
Unten wechselte die Musik. » Wir sehen uns in ein paar Minuten«, flüsterte Sarah. Sie raffte ihren langen blauen Samtrock und schritt so anmutig wie möglich die Treppe hinunter, was gar nicht so leicht war, weil Pierre kräftig an der Leine zerrte.
Lucy konnte ihre Eltern neben sich atmen hören und sah beide verstohlen an. Soledad war blass und ihr Mund zitterte ein wenig. Leo warf ihr einen Blick zu.
» Ich hab noch ein paar Leute eingeladen«, flüsterte Soledad plötzlich. » Nur damit du vorgewarnt bist.«
» Das ist okay, Mom. Ich hab dir ja gesagt, du kannst einladen, wen du willst.«
» Nur damit du nachher nicht überrascht bist, weil du nicht jeden kennst.«
Unten erklang jetzt ein Cello. Leo hatte die Musik selbst komponiert. Sie war jazzig, fröhlich und hatte einen ausgeprägten Rhythmus. Als Lucy sie hörte, wurde sie noch ruhiger und gelassener.
Sie war im Begriff, Zachary Greenfield zu heiraten. Ihren Freund. Ihren Geliebten? Ja.
Sie war bereit.
Lucy fasste Soledad und Leo bei den Händen. » Danke«, flüsterte sie. Soledad schluchzte leise und drückte Lucys Hand, und auch Leo hielt ihre andere Hand ganz fest.
Gemeinsam schritten sie zur Musik die Treppe hinunter.
Kapitel 45
Im Wohn- und Esszimmer hatten sich etwa dreißig Gäste versammelt– das Streichquartett, das sich in der Nische vor dem Erkerfenster niedergelassen hatte, und die Leute vom Partyservice, die die Küche in Beschlag genommen hatten, nicht mitgerechnet. Die meisten Gäste hatten bereits auf den geliehenen Klappstühlen Platz genommen, die in schiefen Reihen vor dem brennenden Kamin aufgestellt worden waren.
Da passt kein einziger Stuhl mehr dazwischen, dachte Zach. Er versuchte, mit einem von Leos Musikerfreunden ein vernünftiges Gespräch zu führen, während seine kleine Schwester Gina sich mit einer Hand an sein Hosenbein klammerte. In der anderen Hand hielt sie ihren Korb mit rosa und weißen Rosenblüten. Ab und zu blickte sie verzückt auf ihren Korb oder ihren rosa Taftrock. Gina war sieben, und heute ging für sie ein Traum in Erfüllung: Sie durfte in ihrem rosa Kleidchen mit Petticoat Rosenblüten auf den Boden streuen, während die Musik spielte und aller Augen auf sie gerichtet waren.
Wenigstens hatte er ein Mitglied seiner Familie glücklich gemacht.
» Kennen Sie Pater Costas?«, fragte Leos Freund, als ein großer schlanker Mann mit steifem Stehkragen auf sie zukam. » Er kommt von meiner Kirche. Griechisch-orthodox«, erklärte er hilfsbereit.
» Nein, wir haben uns noch nicht kennengelernt«, sagte Zach. » Äh, herzlich willkommen. Danke, dass Sie gekommen sind.« Er schüttelte Pater Costas die Hand. Dann blickte er sich verstohlen im Zimmer um. Die Friedensrichterin Mrs Pamela Benoit, eine reifere Dame in einem dem Anlass entsprechenden Kostüm, war auch schon da. Sie unterhielt sich mit Soledads Freundin Jacqueline und einem hochgewachsenen, sehr gut aussehenden dunkelhaarigen Mann mit blauen Augen und einer etwas arroganten Art, den Zach in seiner Aufregung nirgends zuordnen konnte, obwohl er genau wusste, dass er ihm schon irgendwo begegnet war.
Mrs Benoit sollte die zivile Trauung vornehmen. Zach und Lucy hatten sich gemeinsam für eine zivile Trauung anstelle einer religiösen Zeremonie entschieden. Zach hatte hinsichtlich seines Glaubens Zweifel, und Lucy war kein formelles Mitglied einer Religionsgemeinschaft, da ihre Pflegeeltern zwei verschiedenen Glaubensrichtungen angehörten und keiner wusste, woran Miranda glaubte– wenn überhaupt.
Dieser Pater Costas war bereits der siebte Geistliche, dem Zach in den letzten zwanzig Minuten vorgestellt worden war. Dabei machten eigentlich nur drei von ihnen Sinn. Leo hatte seinen Rabbi eingeladen, Zachs Eltern den Pfarrer ihrer alten Kirche und Soledad einen katholischen Priester, der offenbar als Kaplan im Krankenhaus arbeitete und ein Bekannter von ihr war. Obwohl in beiden Familien bislang niemand besonders religiös gewesen war, hatte Zach Verständnis dafür, dass diese drei Geistlichen zu den Gästen zählten.
Aber wer war dieser Swami, dieser
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