Fluch von Scarborough Fair
seine Eltern, die neben ihm standen.
Dort oben auf der Treppe stand sie.
Plötzlich war ihm, als hätte er Fieber, als ob alles, was er sah und hörte, in weiter Ferne oder wie in einen Nebelschleier gehüllt passierte. Alles erschien ihm so unwirklich, und er war wie taub. Hinterher wurde ihm bewusst, dass die Musik weitergespielt hatte, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Mit allen Sinnen konzentrierte er sich nur noch auf eine einzige Person:
Luce. Lucy. Lucinda.
Obwohl Soledad und Leo an ihrer Seite waren und seine Eltern neben ihm, hatte er nur Augen für Lucy. In dem sich bauschenden elfenbeinfarbenen Kleid und mit dem Spitzenschleier, der über ihr Haar und ihre Schultern fiel, sah sie aus wie… Zach fand dafür keine Worte. Er vergaß fast zu atmen. Lucy war mehr sie selbst als je zuvor. Das ließ sich nicht mit Worten beschreiben.
Trotz seiner Benommenheit wusste Zach, was als Nächstes kommen würde. Schließlich hatten sie es oft genug geprobt. Leo, Soledad und Lucy würden im Takt der Musik die Treppe herunterkommen, und die Eltern würden Lucy durch den Raum zu dem Platz vor dem Kamin geleiten, wo die Trauung stattfinden sollte.
Aber als Zach Lucy ansah, entdeckte er winzige Sorgenfalten auf ihrer Stirn, und sie wirkte ein wenig verwirrt. Dann schwankte sie, obwohl ihre Eltern sie zu beiden Seiten stützten. Von oben ließ sie den Blick suchend durchs Zimmer schweifen.
Zach geriet in Panik, und schließlich folgte er nur noch seinem Instinkt. Er musste– er musste– schnell–
Er ließ seine Eltern stehen, durchquerte mit drei Schritten den Raum und lief die Treppe hinauf. Auf halbem Weg streckte er Lucy beide Hände entgegen und flüsterte ihren Namen.
Sogleich wandte Lucy sich ihm zu, und sie sahen sich fest in die Augen. Dann löste Lucy ihre Hände aus der Umklammerung ihrer Eltern und reichte sie Zach. Die Rosen, die sie in der Hand gehalten hatte, fielen unbeachtet auf die Treppenstufen.
Lucy trug keine Handschuhe, und so berührten sie sich mit bloßen Händen.
Die Welt um sie herum kam wieder ins Gleichgewicht, und der Nebel, der ihren Verstand umgeben hatte, lichtete sich.
Zach hörte jetzt ganz deutlich die Musik. Ein Cello spielte eine fröhliche Melodie, die ihn an ein vor Freude hüpfendes und laut pochendes Herz erinnerte.
Zach stand zwei Stufen unterhalb von Lucy und sah ihr immer noch direkt in die Augen, und Lucy erwiderte seinen Blick.
Sie lächelte. Es war ein schiefes, ein wenig verschämtes Lächeln. » Mir war für einen Moment ganz schwindlig«, flüsterte sie. » Ich weiß nicht warum.«
» Ich weiß. Mir auch. Aber jetzt ist alles wieder gut.«
» Ja.«
Sie hielten einander immer noch an den Händen, und Zach dachte nicht daran, Lucy loszulassen. Probe hin oder her. Planung hin oder her. Lucy hatte denselben Gedanken und warf einen kurzen Blick über die Schulter zu ihren Eltern.
Leo räusperte sich und stieß seine Frau an, und beide gingen wieder eine Stufe nach oben.
Die Zeremonie ging fast so reibungslos weiter, als sei alles so geplant gewesen. Lucy schritt zwei Stufen hinab und stellte sich neben Zach. Zach reichte ihr seinen Arm und Lucy hakte sich bei ihm unter, während ihre andere Hand nach wie vor in seiner ruhte. Hinter Lucy hob Soledad die herabgefallenen Blumen auf und bildete anschließend mit Leo ein Paar.
Die Musiker improvisierten hastig einen Übergang. Unter dem Klang zweier Geigen schritten Lucy und Zach gemeinsam durch den Raum, traten vor die Friedensrichterin und wurden Kraft des Gesetzes des Staates Massachusetts im Beisein ihrer Familien, Freunde und mehrerer Geistlicher unterschiedlicher Konfessionen zu Mann und Frau.
Und Pierre, der große schwarze Standardpudel, hatte sich kurz nach der Berührung von Zachs und Lucys Händen plötzlich beruhigt und auf den warmen Fliesen vor dem Kamin zufrieden ausgestreckt. Wie alle anderen schien er aufmerksam zuzuhören, als Soledad und Leo zu Beginn der Trauung gemeinsam einen Text aus dem ersten Korintherbrief vorlasen:
» Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.«
Niemand bemerkte, dass im selben Augenblick, als Pierre
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