Fluch von Scarborough Fair
noch zu warten, Lucy. Es ist ja nicht lange.«
Es folgte eine längere Pause. Lucy machte den Eindruck, als ob sie etwas sagen wollte; tatsächlich bewegte sie die Lippen, als würde sie Worte formen. Aber sie schwieg. Nach einer Weile sagte sie vorsichtig: » Ich möchte die Ebbe morgen früh nutzen. Es ist ungeheuer wichtig für mich.« Sie holte tief Luft und wandte sich ab. Sie massierte ihren Hals, als sei er steif.
Zach zögerte. Eigentlich wäre es vernünftiger, heute Nacht zu schlafen und erst am Morgen mit Soledad und Leo loszufahren.
» Okay«, sagte er schließlich. » Du und ich werden gleich fahren. Ich werde deinen Eltern sagen, sie sollen morgen früh so bald wie möglich nachkommen. Wir werden nur ein paar Stunden Vorsprung haben. Das ist keine große Sache. Wir werden uns dann dort treffen.«
Lucys Gesicht hellte sich auf. » Wollen wir wirklich?«
» Ja«, sagte Zach. » Los geht’s.«
Kapitel 51
Kurz nach Sonnenaufgang erreichten sie New Brunswick und frühstückten in einer Fernfahrerkneipe am Trans-Canada Highway. Lucy würgte ein großes Omelett mit zwei Scheiben Toast hinunter. Während sie die Karte studierte, nippte sie an einem Orangensaft. » Wir nehmen die Ausfahrt in Richtung Memramcook. Dann fahren wir durch Dorchester und weiter nach Shepody Bay.« Shepody Bay war ein Meeresarm der Bay of Fundy mit einem langen unberührten Küstenabschnitt. » Bis um zehn wird das Wasser noch nicht ganz abgelaufen sein, aber es macht nichts, wenn wir zu früh da sind.« Sie starrte aus dem Fenster in den grauen Himmel. » Hoffentlich kommt die Sonne raus.« Sie konnte ihre Angst und ihre Eile nur schwer verbergen.
Lucy hatte es noch nicht geschafft, mit Zach über den Elfenritter zu sprechen. Wenn sie Erfolg hatte, konnte sie es ihm hinterher erzählen. Andernfalls war es besser, wenn er es nicht wusste. Dann würde er weniger leiden, genauso wie Leo und Soledad. Und ob sie es nun wussten oder nicht, es hatte nichts mit dem Baby zu tun.
» Laut Wetterbericht soll es heute aufklaren«, sagte Zach. » Kalt, aber klar. Für Februar ist das Wetter ganz passabel.«
Lucy nickte.
Sie stiegen wieder ins Auto. Aber als sie weiter nach Osten fuhren, verdunkelte sich der Himmel zusehends. Der Wind nahm an Stärke zu, und dann begann es zu regnen und zu schneien. Der Sturm peitschte den Regen gegen die Windschutzscheibe, sodass Zach kaum noch etwas sehen konnte. Lucy blickte besorgt auf den Tachometer. Jedes Mal, wenn er langsamer fahren musste, rang sie die Hände.
Lucy war irgendwie anders als sonst, aber das lag vielleicht daran, dass sie jetzt so nah dran waren. Als Zach sie fragte, ob sie reden wolle, lächelte sie nur und meinte, sie müsse sich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren.
Er konnte nichts weiter tun.
Über eine Stunde später als ursprünglich geplant, erreichten sie die richtige Ausfahrt. » Es müssten jetzt nur noch vierzig oder fünfzig Minuten bis zur Bucht sein«, sagte Zach. Seine Kopfschmerzen wurden immer schlimmer und er überlegte hin und her, ob er Lucy bitten sollte, ihm ein paar Aspirintabletten aus ihrer Handtasche zu geben. Aber andererseits sollte sie nichts davon mitbekommen, denn schließlich hatte sie schon genug Sorgen. Vielleicht konnte er die Tabletten später heimlich an sich nehmen.
Lucy griff nach dem Handy, was sie schon den ganzen Morgen über in regelmäßigen Abständen getan hatte, klappte es kurz darauf wieder zu und seufzte.
» Kein Empfang?«
» Nein.«
» Nun, schlimmstenfalls werden wir deine Eltern heute Abend in dem Hotel treffen, das Soledad erwähnt hat. Sicher sind sie inzwischen schon unterwegs.« Zach blickte stur auf die Straße und ließ seine Hände am Steuer. Wieder musste er langsamer fahren. » Wie fühlst du dich?«, erkundigte er sich. » Es muss doch unbequem für dich sein, die ganze Zeit hier im Auto zu sitzen. Soll ich beim nächsten Rastplatz anhalten?«
» Mir geht’s gut«, sagte Lucy.
Das war eine Lüge, aber sie war notwendig. Wie zu erwarten, fühlte sie sich zunehmend unwohl, aber das eigentliche Problem war, dass sie vor zehn Minuten eine schwache Muskelkontraktion gespürt hatte. Glücklicherweise war Zachs Blick auf die Windschutzscheibe und die Scheibenwischer gerichtet, die ihm kaum klare Sicht verschafften, sodass er ihr erstauntes Gesicht nicht gesehen hatte.
Die sogenannten Braxton-Hicks-Kontraktionen waren Vorwehen, die zur Reifung der Gebärmutter beitrugen. Keine richtigen Wehen. Das hatten Lucy
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