Fluch von Scarborough Fair
überhaupt erzählen? Würde es Zach nicht zu sehr belasten, wenn er erfuhr, was sie mittlerweile wusste? Sie fühlte sich ganz beklommen vor Angst und Unsicherheit.
Vielleicht musste sie mit diesem Wissen allein fertig werden. Denn wenn alles wahr wurde– wenn sie tatsächlich verdammt war–
Dann fiel ihr Blick auf das Reisemagazin. Sie hob es vom Boden auf und hielt es fest. Ihr fiel ein, worüber sie nachgedacht hatte, bevor der Elfenritter aufgetaucht war, und sie fasste wieder Mut.
Ihr Kampf war noch nicht vorbei.
» Lucy?«
» Mom, kann ich das mitnehmen?« Lucy deutete auf das Magazin. » Ich bringe es später zurück. Da steht ein interessanter Artikel drin.«
» Kein Problem«, meinte Soledad. » Willst du nicht auf Jacqueline warten? Okay, dann lass uns gehen. Zu Hause kannst du die Beine hochlegen.«
Aber das hatte Lucy nicht vor. Nachdem Soledad sie zu Hause in Newton abgesetzt hatte, ging Lucy online und suchte nach Informationen über die Bay of Fundy. Als Zach nach Hause kam, war sie sich sicher.
» Vergiss deine Fahrt morgen nach Mississippi«, sagte Lucy mit einer Überzeugung, die Zach neu war. » Wir brauchen kein Sumpfland, sondern das hier.« Sie zeigte ihm, was sie entdeckt hatte. » Bei Ebbe fließt das Wasser an manchen Stellen über mehr als zwei Meilen ab und legt den Meeresgrund in der Bucht frei. Dann wimmelt es dort von Lebewesen, und die Vögel fliegen in großen Scharen herbei, um zu fressen, bevor die Flut kommt und alles überschwemmt.«
Zach betrachtete die Fotos in dem Magazin und begriff sofort.
» Es muss gar keine Halbinsel sein«, sagte er. » Zwischen Meeresgischt– dem Ozean– und Meeresstrand– dem Gezeitenwechsel. Die Küste dehnt sich über mehrere Meilen aus und schrumpft wieder. Ein steter Wechsel zwischen Wasser und Land, und das zweimal am Tag.«
» Natürlich wird dort nichts von dem wachsen, was ich säe«, erklärte Lucy. » Denn das Salzwasser wird nach zwölf Stunden zurückkommen und die Aussaat überfluten. So oft wechseln die Gezeiten. Aber, wie gesagt, ich kann dort trotzdem säen.«
Sie sahen sich an.
Zach blätterte auf die Seite mit der Landkarte. » New Brunswick, Kanada. Das sind sieben Autostunden von hier, vielleicht sogar acht, um an einen geeigneten Platz in der Bucht zu gelangen. Du hast doch einen Reisepass, oder?«
» Oh, ja. Und du?«
» Ja.«
Lucy zögerte. » Zach? Ich möchte gleich fahren. Noch heute Abend. Ist das okay? Ich kann nicht länger warten. Wir müssen jetzt los. Ich– ich fühle es. Weibliche Intuition oder so was.«
Hoffentlich stellte Zach keine Fragen. Sie hatte sich noch nie auf ihre Intuition berufen. Aber Lucy hatte sich noch nicht entschieden, ob sie Zach von ihrer Begegnung mit dem Elfenritter erzählen sollte; ob sie ihm sagen sollte, was sie von ihm erfahren hatte, und wie sie das aufs Neue wachgerüttelt hatte.
Wenn sie versagten, oder besser gesagt, wenn sie versagte, dann würde ihn die Wahrheit nur noch mehr belasten.
Nach einer Weile nickte Zack zustimmend. » Okay. Dann lade ich mal die Ziegenhörner, die Schubkarre und das Sand-Kornstaub-Gemisch in den Wagen.«
Lucy zitterte beinah vor Erleichterung. » Ich liebe dich über alles, Zach.– Okay. Ich hab mir schon die Gezeitentabelle angesehen, und hier«– sie deutete auf eine bestimmte Stelle auf der Karte der Bay of Fundy– » ist morgen Vormittag kurz nach zehn Uhr Ebbe. Sonst müssten wir einen ganzen Tag auf die nächste Ebbe bei Tageslicht warten.«
» Stimmt«, sagte Zach. » Lass mich nur schnell deinen Eltern Bescheid sagen. Ich nehme an, du willst sie dabeihaben?«
» Oh, ja.« Lucy legte die Hand auf ihren Bauch. » Vor allem Soledad.«
Zach erstarrte. » Aber die Ärztin hat doch gesagt–«
» Beruhige dich. Ich hab noch drei Wochen Zeit. Wir sind längst wieder zurück, ehe ich Wehen bekomme. Ganz bestimmt. Ich dachte nur, Soledad sollte in der Nähe sein, für alle Fälle.«
» Hört sich gut an«, meinte Zach. Aber nachdem er telefoniert hatte, zog er die Stirn kraus. » Leo hat heute Abend einen Auftritt und ist schon weggegangen, und Soledad weiß nicht genau, wo die Veranstaltung stattfindet. Leo stellt immer sein Handy aus, wenn er spielt, und er wird nicht vor ein oder zwei Uhr nachts nach Hause kommen. Soledad meint, Schlaf würde uns allen guttun, und ob wir nicht gleich morgen früh fahren könnten? Ich hab ihr gesagt, das sei in Ordnung. Ich weiß, du würdest lieber gleich fahren, aber es ist eine gute Idee,
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