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Flucht aus dem Harem

Flucht aus dem Harem

Titel: Flucht aus dem Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Charon
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würden.“ Er wollte nach den Geldscheinen greifen, doch Leila hielt das Bündel fest umklammert. Das stumme Duell dauerte ein paar Augenblicke, dann gab der Mann nach und ging zu seiner Kutsche. Er öffnete den Wagenschlag und klappte das Treppchen herunter.
Leila stieg ein. Sie zwang sich dabei, nicht zurückzuschauen zum Kai, wo die „Sea Witch“ ankerte.
Die Kutsche rollte an und fuhr los. Leila lehnte den Kopf an die Polsterung. Jeder Nerv, jeder Muskel in ihr war zum Zerreißen gespannt. Noch immer bestand die Möglichkeit, dass Justin ihre Flucht entdeckt hatte und jeden Moment die Kutschentür aufriss.
Doch nichts dergleichen geschah. Die kleinen Läden und Schankstuben am Pier zogen gemächlich an ihr vorbei und wichen schließlich adretten Backsteinbauten.
Leila traten die Tränen in die Augen, doch sie konnte nicht sagen, ob aus Erleichterung oder aus Verzweiflung.

14

Justin ging unter Deck, öffnete die Kabinentür und sah sich nach seinem Mantel um. Er lag ordentlich zusammengefaltet auf einem Stuhl. Als er danach griff, bemerkte er, dass Leila aufgeräumt und das Bett gemacht hatte. Das penible Arrangement der wenigen Gegenstände verriet Leilas ausgeprägten Hang zur Ordnung, etwas, das ihm bisher noch nicht an ihr aufgefallen war. Er lächelte.
Obwohl er nach der Nacht in Malta nicht damit gerechnet hatte, hatten sich die letzten Tage an Bord ungewöhnlich harmonisch erwiesen. Er hegte weder einen Zweifel daran, dass Leila ihn liebte noch, dass sie bei ihm bleiben würde. Sie würden ein Kind miteinander haben, einen Beweis ihrer Verbundenheit. Der Gedanke erfüllte ihn mit Ehrfurcht und Freude zugleich. Jetzt mussten nur mehr seine familiären Angelegenheiten in Ordnung gebracht werden, dann stand einer Zukunft in leuchtenden Farben nichts mehr im Weg.
Er nahm den Mantel und ging wieder an Deck. Oben erwartete ihn Kapitän Harris. „Wenn’s recht ist, lasse ich Ihre Sachen an Land bringen, Mr. Grenville“, bot er an.
„Sehr gut, Kapitän. Ich werde auch eine Kutsche benötigen, kümmern Sie sich doch bitte darum“, erwiderte Justin.
„Natürlich, ich schicke einen der Männer zum Standplatz und lasse einen Wagen vorfahren.“ Er nickte seinem Passagier zu und wandte sich ab.
Justin machte sich auf den Weg zur Reling, wo er Leila zurückgelassen hatte. Das Löschen der Ladung war in vollem Gange, deshalb musste er mehrmals Halt machen, um die Seeleute passieren zu lassen. Als er die Steuerbordseite endlich erreicht hatte, stellte er fest, dass Leila nicht mehr dort war. Suchend blickte er sich um, konnte sie aber nirgends entdecken. Er fragte die Seemänner, erntete jedoch nichts als Kopfschütteln. Niemand hatte sie gesehen.
Langsam, aber unaufhaltsam begannen sich seine Eingeweide in Eis zu verwandeln. Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihm auf. Um ihn zu entkräften, ging Justin zur Kabine zurück.
Die feinsäuberliche Anordnung aller Einrichtungsgegenstände bekam plötzlich eine völlig neue Bedeutung. Er öffnete die Laden der Kommode, aber nirgendwo fand sich ein Beweis, dass Leila jemals hier gewesen war. Sie hatte alle Spuren getilgt.
Justin sank auf den Stuhl vor dem Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen. Das durfte nicht wahr sein. Sie konnte ihn doch unmöglich so getäuscht haben? Sie konnte ihn nicht anlächeln und ihm gleichzeitig ein Messer ins Herz stoßen.
Dennoch hatte sie es getan. Das Glücksgefühl, das ihn noch vor wenigen Augenblicken wie auf Wolken hatte schweben lassen, wich einem Schmerz, der ihn zu zerreißen drohte. Sie musste ihre Flucht geplant haben, von Anfang an, und sie hatte die erstbeste Möglichkeit genutzt, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie hatte ihn nie geliebt, sie hatte ihn nur benutzt.
Ihr Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf. Ihr Lächeln, das unzählige Versprechen barg, ihre strahlenden Augen, ihre leicht geöffneten Lippen, die ihn anflehten, sie zu küssen. Konnte ein Mensch sich wirklich so verstellen? Nein, ihre Hingabe war ebenso wenig geheuchelt gewesen, wie die Lust, die sie empfunden hatte, wann immer sie sich geliebt hatten.
Er hob den Kopf und starrte ins Nichts. Er würde Leila finden, und er würde Antworten bekommen auf alle Fragen, die ihn bewegten. Wo konnte sie hier in England schon hingehen? Sie kannte niemanden hier, beherrschte nicht einmal die Sprache. Er würde sie finden. Es war nur eine Frage der Zeit.
Mit eckigen Bewegungen erhob er sich, schlüpfte in den Mantel und ging zurück an Deck. Der Kapitän

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