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Flucht aus dem Harem

Flucht aus dem Harem

Titel: Flucht aus dem Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Charon
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ließ ihn wissen, dass die Kutsche bereits wartete und schickte zwei Männer nach unten, um Justins Truhe zu holen. Harris musste von Leilas Flucht erfahren haben, denn er erwähnte sie mit keinem Wort. Justin schüttelte dem Mann die Hand, bedankte sich für das Entgegenkommen während der Reise und verließ die „Sea Witch“, ohne sich noch einmal umzusehen.
Am Pier nannte er dem wartenden Kutscher die Adresse des Familiensitzes am Alden Square, dann stieg er ein und lehnte sich erschöpft in die Polster zurück. In Gedanken war er noch immer bei Leila, aber er musste auch an die unmittelbare Zukunft denken, daran, wie er seiner Familie gegenübertreten wollte.
Schneller als er erwartet hatte, hielt die Kutsche vor einem imposanten Stadtpalais, dessen Portal von zwei weißen Säulen eingerahmt wurde. Justins Herzschlag beschleunigte sich, als er aus dem Fenster auf die beeindruckende Fassade blickte. Erinnerungen tauchten vor seinem geistigen Auge auf, ohne dass er eine davon greifen konnte.
Mit einer angedeuteten Verbeugung öffnete der Fahrer den Wagenschlag. Justin hob den Deckel der Truhe und nahm die flache Lederbörse heraus, in der er seine Geldscheine verwahrte. Als er sie aufklappte, fiel ein Ring heraus. Stirnrunzelnd drehte er das Schmuckstick zwischen den Fingern. Ein quadratischer Amethyst, der von unzähligen Brillanten umrahmt wurde. Trotz seiner Größe handelte es sich eindeutig um ein Schmuckstück für Frauen. Sollte das ein Abschiedsgeschenk von Leila sein?
„M’lor’“, unterbrach ihn der Kutscher ungeduldig und riss ihn aus seinen Gedanken. „Soll ich bei der Truhe zur Hand gehen?“
„Ja, das wäre in der Tat wünschenswert.“ Justin steckte den Ring auf seinen kleinen Finger und zählte einige Münzen ab, ehe er die Börse in seine Jackentasche stopfte. Dann trugen er und der Kutscher die schwere Truhe zum Portal des Hauses. Justin entlohnte den Fahrer, der seinen Hut lüftete und sich dann davonmachte.
Beklommen musterte Justin das imposante Portal. An der schweren Eichentür war ein Türklopfer in Form eines bronzenen Löwenkopfs angebracht, der einen geflochtenen Ring im Maul hielt. Die toten Augen starrten durch Justin hindurch, als wäre er Luft. Und genau so fühlte er sich in diesem Augenblick auch.
Er hatte die Frage, warum niemand für ihn das Lösegeld bezahlte, immer weit von sich geschoben, soweit, dass ihn die Antwort darauf nicht verletzen konnte. Keine der möglichen Erklärungen war ihm zufriedenstellend erschienen. Doch jetzt musste er sich der Wahrheit stellen.
Er schloss die Augen, atmete tief ein und betätigte den Türklopfer. Die Sekunden, die verstrichen, bis das Portal geöffnet wurde, ließen ihn um Jahre altern. Sein gesamtes Leben zog in einem wirren Farbenrausch an ihm vorüber.
„Sie wünschen?“
Justin blinzelte. Ihm gegenüber stand ein Mann in einer dunkelblauen Livree mit glänzenden Messingknöpfen. Sein schütteres Haar war pomadisiert und streng aus dem arrogant blickenden Gesicht gekämmt, die hellen Augen sahen ihn ausdruckslos an. Das war nicht Henson, der Butler aus seinen Kindertagen. Diesen Mann hier kannte Justin nicht.
„Ich möchte den Hausherrn sprechen.“ Zu seiner Erleichterung klang seine Stimme fest.
„Geben Sie mir Ihre Karte, ich werde sehen, ob der Marquess zu sprechen ist.“
Daran hätte er denken sollen. Natürlich besaß er keine Visitenkarten. „Das wird nicht nötig sein, My Lord Wexford erwartet mich.“
Die Augen des Butlers verengten sich. „Wen darf ich melden?“
„Justin Grenville.“
Der Butler maß ihn von oben bis unten, dann trat er einen Schritt zur Seite, um ihn einzulassen. „Warten Sie hier. Ich werde sehen, ob der Marquess of Wexford Sie empfängt.“
Justin schob die Truhe mit der Schuhspitze ins Innere des Hauses. Der Butler verzog weder eine Miene, noch machte er Anstalten, ihm zu helfen. Stattdessen ließ er die Tür lautstark ins Schloss fallen und ging mit steifer Grandezza an Justin vorbei.
Die Halle des Hauses war ihm immer riesig erschienen mit der breiten Treppe, auf deren Geländer er so oft nach unten gerutscht war. Heute war das Foyer zwar noch immer groß, aber es hatte seine beeindruckende Imposanz verloren.
Die Möbelstücke erkannte er nicht wieder, doch die bunten Glasfenster oberhalb der Treppe waren dieselben geblieben, ebenso wie der schwere Leuchter, der von der Decke hing.
Justin zog sich hinter eine auf einem Sockel thronende Vase zurück, und behielt die Treppe im Auge.

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