Flucht aus dem Harem
gestorben? Weißt du das?“
„Er trank sich zu Tode. Ich kann mich nicht erinnern, ihn ein einziges Mal nüchtern gesehen zu haben. Er stand immer abseits in einer Ecke und brütete vor sich hin, wenn sich die anderen unterhielten.“ Sie sah Kate an. „Deine Mutter hat ihn verlassen, ist das richtig?“
„Meine Mutter lernte in Rom den Gesandten des Sultan Abdul Mecid kennen, verliebte sich in ihn und schloss sich ihm an, als er die Stadt verließ, um nach Alexandretta zurückzukehren.“
„Sie hat dich mitgenommen.“ Keine Frage, eine Feststellung.
„Ja. Sie träumte von einer goldenen Zukunft, war bezaubert vom Charme des Paschas, von der Art, wie er sie behandelte, von den Erzählungen über den Harem. Dafür hat sie alles zurückgelassen, einen neuen Namen angenommen und auch mir einen neuen Namen gegeben. Sie wollte völlig neu beginnen.“
„Hat es sich denn gelohnt?“
Kate schloss kurz die Augen. „Nein“, sagte sie dann. „Heute ist sie eine unglückliche Frau, die mit Opium Vergessen sucht. Sie bereut ihre Entscheidung jeden wachen Augenblick.“
Serena betrachtete sie aufmerksam. „Und du? Was ist mit dir?“
„Nun, ich bin geflohen“, erwiderte Kate. „Ist das nicht Antwort genug?“
„Bist du …“ Serena räusperte sich. „Bist du noch unberührt?“
„Nein. Aber was tut das zur Sache?“
„Ich habe so viele Gerüchte gehört über den Orient. Über die Männer. Über den Harem. Ich würde so gerne wissen, wie es wirklich ist. Kannst du das verstehen?“
Wie es wirklich ist. Sie würde es nicht glauben. Kate seufzte unhörbar. Trotzdem sagte sie: „Natürlich verstehe ich das. Ich werde dir alles erzählen, was du wissen möchtest.“
„Und ich erzähle dir alles, vom Leben hier oder vom Leben in London.“ Serena lächelte aufmunternd.
„Oh ja, das interessiert mich wirklich.“ London. Das Wort alleine brachte die Erinnerung an Justin zurück, den sie während der letzten Tage aus ihrem Gedächtnis verbannt hatte. Sie wollte ihn vergessen, aus ihrer Erinnerung radieren, um jeden Preis, so schnell und gründlich als möglich.
„Das Leben in Cornwall ist sehr ruhig und beschaulich. So lange Will lebte, habe ich es genossen, aber in letzter Zeit …“, sie brach ab.
„Du warst also glücklich in deiner Ehe?“, fragte Kate neugierig. Ihre Eltern waren verheiratet worden und sie konnte sich an kein Ehepaar erinnern, das sich aus reiner Zuneigung vermählt hätte.
„Ja, das war ich. Wir haben uns wirklich geliebt, auf eine Weise, von der ich vorher nicht wusste, dass sie existierte. Als Will starb, da ging ein Teil von mir mit ihm. Ich werde nie wieder so sein, wie ich war, als er noch lebte.“
„Wie habt ihr euch kennen gelernt?“, erkundigte sich Kate, um Serena auf andere Gedanken zu bringen.
„In London, während meiner ersten Saison. Ich war achtzehn, er um zweiundzwanzig Jahre älter als ich. Er wollte niemals heiraten, und meine Eltern hatten einen Herzog für mich ausgesucht. Aber wir sahen uns an, und alles war entschieden.“ Sie lächelte verträumt. „Innerhalb von drei Monaten waren wir verheiratet. Nach der Saison verließen wir London, um auf Fulton Hall den Sommer zu verbringen. Dabei stellten wir fest, dass wir die Stadt nicht vermissten. Also richteten wir uns dauerhaft hier ein. Hin und wieder besuchten wir Freunde in London, meistens aber luden wir sie hierher ein. Alles war perfekt, so unglaublich perfekt.“
Kate griff nach Serenas auf der Armlehne des Sofas liegenden Hand, die zu zittern angefangen hatte, und drückte sie. Sie fühlte sich hilflos, keines der Worte, die ihr auf der Zunge lagen, konnte Serenas Schmerz mildern.
„Er fiel bei einer Parforcejagd vom Pferd und brach sich das Genick. Wir hatten sieben Jahre, neun Monate und drei Tage.“ Sie atmete tief durch. „Das ist mehr, als vielen anderen Menschen vergönnt ist. Damit versuche ich mich zu trösten. Aber es gelingt mir nicht immer.“
„Du bist noch so jung. Du wirst jemand anderen finden …“, versuchte Kate sie zu trösten.
„Nein.“ Das Wort durchschnitt die Luft wie ein Peitschenschlag. Serena presste die Lippen aufeinander. „Diese Liebe gibt es nur einmal. Der Versuch, sie zu wiederholen, hieße, einen Traum in einem Einmachglas festhalten zu wollen. Das werde ich nicht tun. Vielleicht werde ich irgendwann noch einmal heiraten, um nicht alleine zu sein, aber diese Beziehung wird eine ganz andere Qualität haben als jene zu Will.“
Kate nickte. Sie wusste nicht, was sie
Weitere Kostenlose Bücher