Flucht aus dem Harem
Jahre älter als sie selbst sein konnte. Ihre türkisfarbenen Augen sprühten vor Lebensfreude, und sie erwiderte Kates neugierigen Blick freimütig und voller Interesse.
„Euer Lordschaft, welche Freude, Sie wohlauf zu sehen. Allerdings vermisse ich das Schachbrett und Ihren so vorzüglichen Kognak.“ Ihre Stimme klang voll und angenehm dunkel. Sie lächelte, ging auf Kate zu, streifte ihren Handschuh ab und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Lady Serena Dexter.“
Erstaunt über die formlose Freundlichkeit, griff Kate nach der Hand. „Ich bin Katherine, die Enkelin des Earl of Rosscliff.“
Lady Serena hob die schöngeschwungenen Brauen. „Enkelin? Welche Überraschung. Jocelyn, warum haben Sie mir nie erzählt, dass Sie eine Enkelin haben?“
Der mürrische Blick ihres Großvaters richtete sich auf Kate. „Weil ich dachte, sie wäre tot.“
Kate zog scharf die Luft ein, und auch Lady Serenas Lächeln gefror für einige Sekunden. Dann fing sie sich und sagte leichthin: „Wie schön, dass Sie sich getäuscht haben.“
Der Earl schnaubte. „Das wird sich erst weisen. Ich brauche Ihre Hilfe, Serena“, fügte er ohne Umschweife hinzu. „Kate braucht neue Kleider, Schuhe und den ganzen üblichen Tand. Könnten Sie sie mit zu Ihrer Schneiderin nehmen?“
Lady Serena ließ ihren Blick über Kates Hosen, den Kaftan und das kurze Brokatjäckchen wandern. „Natürlich, obwohl ich Ihre Kleider sehr apart finde, Kate. Ungewöhnlich, aber sehr hübsch.“
„Danke, Lady Dexter“, antwortete Kate erleichtert. „Allerdings sind sie in dieser Umgebung nicht angebracht, da muss ich meinem Großvater zustimmen.“
„Außer, Sie kreieren eine neue Mode, meine Liebe. Das Orientalische ist im Augenblick sehr beliebt, es -“
Erbost stieß der Earl mit seinem Stock auf den Fußboden, und Lady Dexter blickte ihn erstaunt an. Er schüttelte den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage, Kate wird anständige Kleider bekommen. Röcke, die ihre Beine bedecken und Kleider, deren Ärmel nichts von ihrem Körper verraten. Haben wir uns verstanden?“
Serena warf Kate einen Blick zu und nickte. „Natürlich, Jocelyn. Kate soll mich begleiten. Ich werde nach Mrs. Calmy schicken, spätestens morgen wird sie auf Fulton Hall eintreffen und kann Maß nehmen.“
„Nun, ich möchte Ihre Hilfsbereitschaft nicht missbrauchen“, meinte der Earl. „Baynes kann Kate auch morgen früh zu Ihnen bringen.“
„Papperlapapp, ich freue mich, wieder einmal einen Gast zu haben. Und für Baynes ist die Reise viel zu anstrengend.“ Lady Serenas Stimme verriet, dass sie diese Angelegenheit nicht diskutieren würde.
Der Earl zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie darauf bestehen, dann nehmen Sie sie eben mit“, sagte er, als wäre Kate ein Paket, nach dessen Meinung man nicht fragen musste.
Lady Serena griff nach Kates Hand, die sich in den dünnen Stoff ihrer Hose gekrampft hatte. „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie für ein paar Tage zu mir kämen. Sie haben bestimmt viel zu erzählen. Und meinem Leben mangelt es ohnehin an Höhepunkten.“
Das herzliche Lächeln, mit dem sie Kate ansah, löste die Versteinerung. „Ja, ich komme gerne mit Ihnen, Lady Dexter.“
„Nennen Sie mich doch Serena, meine Liebe. Ich bin sicher, wir werden Freundinnen.“
Kate nickte, und Serena ließ ihre Hand los. „Aber ich bin nicht nur hierher gekommen, um einen gebratenen Kapaun in Ihrer Küche zu verstauen, Jocelyn, sondern weil ich wieder einmal eine Partie Schach spielen und einen guten Kognak genießen möchte.“
„Kate, hol das Brett und nimm den Kognak aus dem Schrank“, bellte der Earl.
Kate befolgte den Befehl mit zusammengebissenen Zähnen. Nachdem sie das Brett auf den Tisch zwischen ihren Großvater und Serena gestellt hatte, holte sie die Kristallflasche mit der goldbraunen Flüssigkeit samt drei Gläsern. Als sie alle drei füllte, merkte sie, dass der Earl den Mund öffnen wollte – fraglos, um ihr zu verbieten, etwas von dem Kognak zu trinken. Ein Blick von Lady Dexter brachte ihn allerdings dazu, den Mund wieder zu schließen.
Kate sah den beiden bei ihrer Partie zu, und die Schnelligkeit, mit der sie spielten, beeindruckte sie. Erst als nur mehr wenige Figuren auf dem Brett standen, nahmen sich die Spieler mehr Zeit für die Züge. Lady Serena beendete die Runde schließlich ohne großes Federlesen. „Schach und matt, Jocelyn.“ Sie trank den letzten Schluck Kognak aus und wandte sich an Kate, ohne eine Erwiderung des Earls abzuwarten.
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