Flucht aus Lager 14
Philharmoniker zu berichten, gelang es der Regierung, im größten Teil der Stadt das Licht einzuschalten. Aber kaum waren das Orchester und die Presse aus der Stadt abgereist, gingen die Lichter wieder aus.
Es ist deshalb verständlich, dass der Bau von kleinen und mittleren Wasserkraftanlagen – deren Strom ausreicht, um die lokale Industrie zu versorgen, und die hauptsächlich mit Hilfe einfacher Technik von Hand errichtet wurden – seit dem Beginn der neunziger Jahre oberste Priorität hat. Unter dem Einsatz von Zwangsarbeit wurden Tausende solcher Kleinkraftwerke gebaut.
Die Staudämme und die mit ihnen verbundenen Kraftwerke verhindern nicht nur den Kollaps der Wirtschaft, sie sind für die Herrscherfamilie des Landes darüber hinaus auch ideologisch attraktiv. Wie seine Hagiografen erzählen, verficht Kim Il Sungs bedeutendste intellektuelle Leistung – seine brillante Juche -Idee –, dass nationaler Stolz untrennbar verbunden sei mit Autarkie.
So heißt es in den Worten des Großen Führers:
Juche einzuführen bedeutet, kurz gesagt, der Herrscher über die Revolution und den Wiederaufbau im eigenen Land zu sein. Das bedeutet, wir halten an einer unabhängigen Position fest, lehnen die Abhängigkeit von anderen ab, gebrauchen den eigenen Verstand, glauben an die eigene Stärke, verbreiten den revolutionären Geist der Eigenständigkeit und lösen so unter allen Umständen in eigener Verantwortung selbst unsere Probleme. 14
Nichts von alledem ist natürlich auch nur entfernt möglich in einem Land, das so miserabel regiert wird wie Nordkorea. Es war stets abhängig von den milden Gaben ausländischer Regierungen, und würden diese Quellen versiegen, so wäre die Kim-Dynastie ziemlich sicher am Ende. Selbst in seinen besten Jahren kann sich das Land nicht selbst versorgen. Nordkorea hat kein Öl, und es war zu keiner Zeit in der Lage, genügend Devisen zu erwirtschaften, um sich auf den Weltmärkten mit Öl oder Nahrungsmitteln zu versorgen.
Nordkorea hätte den Koreakrieg verloren und wäre als Staat verschwunden, hätten die Chinesen nicht geholfen und den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Mächten ein Patt abgerungen. Bis in die letzten Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde die Wirtschaft Nordkoreas weitgehend durch die Subventionen der Sowjetunion zusammengehalten. Von 2000 bis 2008 unterstützte Südkorea den Norden – und erkaufte sich damit ein gewisses Maß an friedlicher Koexistenz – mit riesigen, vorbehaltlosen Gratislieferungen an Kunstdünger und Lebensmitteln sowie großzügigen Investitionen.
Danach wurde Pjöngjang im Hinblick auf spezielle Handelsbeziehungen, Lebensmittelhilfe und Heizöl zunehmend von China abhängig. Ein deutliches Zeichen des wachsenden chinesischen Einflusses war es, dass in den Monaten, bevor im Herbst 2010 offiziell bekannt gegeben wurde, dass der Nachfolger von Kim Jong Il Kim Jong Un sein werde, der gesundheitlich angeschlagene ältere Kim zweimal nach Peking reiste, wo man unter Diplomaten hörte, er habe China gebeten, seinen Vorschlag für die Nachfolge abzusegnen.
Ohne Rücksicht auf die realen Verhältnisse propagiert Nordkorea weiterhin Autarkie als unerlässliche Bedingung für das immer wieder verkündete Ziel, bis 2012, dem hundertsten Jahrestag der Geburt von Kim Il Sung, »eine große, blühende und mächtige Nation« zu sein.
Um diesen fantastischen Vorsatz wahr zu machen, fordert die Regierung die Massen regelmäßig zu schmerzhaften Verzichtleistungen auf, die in großartige Slogans verpackt werden. Die Propaganda kann dabei sehr kreativ sein: Die Hungersnot wurde umgemünzt in einen »Mühsamen Marsch«, einen patriotischen Kampf, zu dem die Nordkoreaner mit der schmissigen Parole ermutigt werden sollten: »Zwei Mahlzeiten sind genug!«
Im Frühjahr 2010, als wieder einmal eine Lebensmittelknappheit beängstigende Dimensionen annahm, rief die Regierung eine massive Kampagne unter der Parole »Zurück aufs Land« aus, mit der sie die Stadtbewohner bewegen wollte, aufs Land zu ziehen und Landwirtschaft zu treiben. Die Städter sollten die permanente Verstärkung im »Kampf um den Reis« bilden, der jährlichen Kampagne, bei der Büroangestellte, Studenten und Soldaten für zwei Monate im Frühjahr und zwei Wochen im Herbst aufs Land geschickt werden.
Weitere dringende patriotische Aufgaben, die den Nordkoreanern zugemutet werden, sind die Intensivierung der Züchtung besonders nahrhafter Fische, die Ziegenhaltung und Schaffung
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