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Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
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Kontakt mit einigen hundert Frauen im Teenageralter, in den Zwanzigern und Dreißigern. Einige waren auffallend attraktiv, und ihre Weiblichkeit erzeugte Spannungen innerhalb der Fabrik. Zum Teil lag es an ihren schlecht passenden Uniformen, außerdem hatten sie keinen Büstenhalter, und die wenigsten trugen Unterwäsche. Monatsbinden oder Tampons gab es überhaupt nicht.
    Als junger Mann von zwanzig Jahren ohne sexuelle Erfahrung fühlte sich Shin unter den Frauen befangen. Sie interessierten ihn, doch er dachte an die Lagerregel, wonach Häftlingen, die ungenehmigt sexuelle Kontakte pflegten, die Todesstrafe drohte. Shin sagte, er habe darauf geachtet, sich mit keiner der Frauen näher einzulassen. Doch das Verbot sexueller Kontakte kümmerte den Leiter der Fabrik ebenso wenig wie die Häftlinge, die als Vorarbeiter eingesetzt waren.
    Der Leiter der Fabrik, ein etwa 30-jähriger Wärter, stolzierte zwischen den Näherinnen herum wie ein Kaufinteressent bei einer Viehauktion. Shin beobachtete ihn dabei, wie er alle drei bis vier Tage ein anderes Mädchen aussuchte und ihm befahl, zum Putzen in sein Zimmer zu kommen, das sich in der Fabrik befand. Die Näherinnen, die nicht für den Fabrikdirektor putzten, waren Freiwild für den Chef der Vorarbeiter und die übrigen Häftlinge mit einer Aufsichtsfunktion in der Fabrik.
    Den Frauen blieb keine andere Wahl, als einzuwilligen. Außerdem hatten sie zumindest für kurze Zeit gewisse Vorteile davon. Wenn sie dem Leiter oder einem der Vorarbeiter gefielen, konnten sie auf niedrigere Arbeitsnormen und mehr Essen hoffen, und falls sie eine Nähmaschine beschädigten, wurden sie nicht misshandelt.
    Eine Näherin, die regelmäßig das Zimmer des Direktors putzte, war Park Choon Young. Shin kannte sie noch aus der höheren Schule, und sie arbeitete an einer Nähmaschine, die er regelmäßig wartete. Sie war 22 Jahre alt und besonders hübsch. Vier Monate nachdem sie erstmals das Zimmer des Direktors besucht hatte, erfuhr Shin von einem anderen früheren Klassenkameraden, dass sie schwanger war.
    Ihren Zustand verheimlichte sie so lange, bis sie ihre Uniform nicht mehr zuknöpfen konnte. Danach sah man sie nie wieder.
    Shin lernte an den Geräuschen einer Nähmaschine zu erkennen, ob alles in Ordnung war oder ob etwas repariert werden musste. Weniger Geschick hatte er, wenn es darum ging, kaputte Nähmaschinen in die Werkstatt zu bringen. Im Sommer 2004 rutschte ihm eine Maschine, die er auf dem Rücken eine Treppe hinauftrug, aus den Händen und polterte die Treppenstufen hinunter. An eine Reparatur war danach nicht mehr zu denken.
    Sein unmittelbarer Vorgesetzter, der Vorarbeiter, der ihn einst angelernt hatte, verpasste ihm zunächst mehrere Ohrfeigen und meldete dann seinem Vorgesetzten den Schaden. Nähmaschinen waren wertvoller als kleine Häftlinge, und wenn eine solche Maschine durch Unachtsamkeit unbrauchbar wurde, galt dies als ein schweres Vergehen.
    Nur wenige Minuten nach dem Missgeschick wurde Shin in das Büro des Fabrikleiters gerufen, gemeinsam mit dem Chef der Vorarbeiter und dem Mithäftling, der den Schaden gemeldet hatte.
    »Was fällt dir ein?«, brüllte ihn der Fabrikleiter an. »Bist du lebensmüde? So schwach kannst du gar nicht gewesen sein, dass dir die Maschine aus den Händen gerutscht ist. Du stopfst dir doch von morgens bis abends den Bauch voll!
    Aber dein Tod bringt uns die Maschine auch nicht wieder«, fuhr er fort. »Deine Hände sind das Problem. Schneidet ihm einen Finger ab!«
    Der Chef der Vorarbeiter packte Shins rechte Hand und presste sie auf einen Tisch. Mit einem scharfen Messer hackte er ihm das erste Glied des Mittelfingers ab.
    Shins Vorarbeiter begleitete ihn zurück zu seiner Arbeitsstelle. Später am Abend ging er mit ihm zur Krankenstation des Lagers, wo ein weiblicher Häftling, die als Krankenschwester arbeitete, Shins Finger in eine Salzlake steckte, die Wunde vernähte und den Finger mit einem Fetzen Stoff verband. Das verhinderte jedoch nicht, dass die Wunde sich infizierte. Aus seiner Zeit im unterirdischen Gefängnis erinnerte sich Shin, dass Onkel gesalzene Kohlsuppe in seine Wunden gerieben hatte. Zu den Mahlzeiten hielt er also den Finger in die Suppe. Zum Glück reichte die Entzündung nicht bis auf den Knochen, und innerhalb von drei Monaten heilte die Wunde.
    An den beiden ersten Tage nach der grausamen Amputation sprang Shins Vorarbeiter für ihn ein. Es war eine unerwartete Geste der Anteilnahme, die dazu

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