Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
Vom Netzwerk:
seicht sei.
    »Es kann dir nichts passieren«, bekräftigte er.
    Der Fluss war knapp 100 Meter breit. Shin ging vorsichtig über das Eis. In der Mitte des Flusses brach er ein, und das eisige Wasser lief in seine Schuhe. Er sprang ein paar Schritte zurück auf festes Eis und überquerte den Rest der Strecke vorsichtig auf allen vieren.
    Am anderen Ufer angelangt, drehte sich Shin noch einmal um und warf einen letzten Blick nach Nordkorea.
    Er fragte sich, ob sein Vater im Lager inzwischen hingerichtet worden war.
    Der junge Wachtposten an der nordkoreanischen Grenze hatte Shin bei seiner Flussüberquerung beobachtet. Er wedelte ungeduldig mehrmals mit der Hand und bedeutete ihm, er solle schneller machen und verschwindet.

KAPITEL 19
    China
    Shin hastete das Ufer hinauf und versteckte sich für kurze Zeit im Wald, wo seine nassen Füße anfingen zu frieren. Es wurde langsam dunkel, und er war erschöpft von einem langen Tag in der Kälte. Da sein restliches Geld für Zigaretten und Kekse für die Grenzsoldaten draufgegangen war, hatte er in den letzten Tagen kaum etwas gegessen.
    Um sich aufzuwärmen und den Fluss hinter sich zu lassen, stieg er auf einen Hügel und folgte einem Weg durch Felder, die von Schnee bedeckt waren. In geringer Entfernung hinter den Feldern konnte er eine Gruppe Häuser erkennen.
    Zwischen Shin und den Häusern liefen zwei Männer den Weg entlang. Sie hatten Taschenlampen und trugen Westen mit chinesischen Schriftzeichen auf dem Rücken. Später erfuhr er, dass sie chinesische Grenzsoldaten waren. Seit 2002, als Hunderte nordkoreanische Asylsuchende China in Verlegenheit brachten, indem sie in ausländische Botschaften eindrangen, hatten Soldaten damit begonnen, illegal nach China gelangte Nordkoreaner festzunehmen und Zehntausende von ihnen wieder in ihre Heimat abzuschieben. 32 Die Soldaten, die Shin entdeckte, blickten zum Himmel hinauf. Er vermutete, dass sie die Sterne zählten. Jedenfalls schien sie die Anwesenheit Shins nicht zu interessieren. So beschleunigte er seine Schritte, um zu den Häusern zu gelangen.
    Sein Plan, in China zu überleben, war ebenso unausgegoren wie sein früherer Plan, aus Nordkorea zu fliehen. Er wusste nicht, wohin er gehen oder zu wem er Kontakt aufnehmen sollte. Er wollte einfach so weit wie möglich von der Grenze entfernt sein. Er war in der armen, gebirgigen und dünn besiedelten Provinz Jilin gelandet. Die nächste Stadt, die diese Bezeichnung verdiente, war Helong, knapp 50 Kilometer nördlich von der Stelle, wo er den Fluss überquert hatte. Seine einzige Hoffnung war ein Gerücht, das er von fahrenden Händlern in Nordkorea aufgeschnappt hatte: Ethnische Koreaner, die in der chinesischen Grenzregion wohnten, würden unter Umständen bereit sein, ihn für ein, zwei Tage aufzunehmen und ihm Essen zu geben – und möglicherweise sogar eine Arbeit für ihn haben.
    Als er den Vorgarten von einem der Häuser betrat, löste Shin wildes Gebell eines ganzen Rudels von Hunden aus. Er zählte sieben Stück – eine erstaunliche Anzahl, gemessen an den Verhältnissen in Nordkorea, wo Hungernde die Hundepopulation dezimiert hatten, weil sie die Tiere während der Hungerkatastrophe schlachteten und brieten. 33
    Als sich die Haustür öffnete, bat Shin um etwas zu essen und um einen Platz, auf dem er schlafen könne. Es war ein koreanischer Chinese, der ihn jedoch abwies. Die Polizei habe ihn gerade erst davor gewarnt, Nordkoreaner aufzunehmen. Shin ging weiter zu einem Backsteinhaus in der Nähe, in dem wiederum ein Nordkoreaner wohnte, der ihn ebenfalls weiterschickte, diesmal aber in einem ruppigen Ton.
    Shin fror ganz erbärmlich, als er weiterging. Er sah die Überreste eines Feuers in einer Kochgrube im Freien. Nachdem er drei schwelende Scheite herausgezogen hatte, rollte er sie in ein kleines Lärchenwäldchen, kehrte dort mit einem Ast den Schnee auf dem Boden zur Seite, schob die Scheite zusammen und fachte die Glut durch kräftiges Blasen an, bis aus dem Holz Flammen schlugen. Er zog seine nassen Schuhe und Socken aus und ließ sie neben dem Feuer, so gut es ging, trocknen. Ohne dass er es wollte, fielen ihm die Augen zu und er schlief ein.
    Erst mit der Morgendämmerung wurde er wach. Das Feuer war erloschen, auf seinem Gesicht war Reif. Völlig durchgefroren und zitternd vor Kälte zog er seine Socken und Schuhe wieder an, die immer noch feucht waren. Er machte sich auf den Weg und ging den ganzen Morgen weiter, wobei er die Hauptstraße mied in der

Weitere Kostenlose Bücher