Flucht aus Lager 14
die russische Expansion, und Koreas Joseon-Dynastie erlaubte ihnen, das Land legal zu verlassen. Vor dem Zweiten Weltkrieg trieben die Japaner, als sie die koreanische Halbinsel und Nordostchina besetzten, Zehntausende koreanische Bauern über die Grenze, um die Herrschaft Chinas über die Region zu schwächen.
Fast zwei Millionen ethnische Koreaner leben heute in den drei nordöstlichen Provinzen Chinas, mit den höchsten Konzentrationen in Jilin, der Provinz, in der sich Shin befand, nachdem er über den vereisten Tumen gekrochen war. Innerhalb der Provinz schuf China den »Autonomen Bezirk Yianbian der Koreaner«, in dem 40 Prozent der Bevölkerung ethnische Koreaner sind und in dem die Regierung Schulen und Publikationen in koreanischer Sprache subventioniert.
Es dürfte kaum bekannt sein, dass die Koreanisch Sprechenden, die in Nordostchina leben, auch wesentlich zu einem kulturellen Wandel innerhalb Nordkoreas beigetragen haben. Bewirkt haben sie das, indem sie südkoreanische Seifenopern über Satellitenschüssel empfangen, sie auf Video- CD s schlechter Qualität brennen und Hunderttausende CD s über die Grenze nach Nordkorea schmuggeln, wo sie für lächerliche 15 Cent verkauft werden, so die japanische Zeitschrift Rimjin-gang mit Sitz in Osaka, die freie Mitarbeiter in Nordkorea hat.
Südkoreanische Seifenopern – in denen schnelle Autos, luxu riöse Häuser und ein wachsendes Selbstbewusstsein der Südkoreaner gezeigt werden – gelten in Nordkorea als »unmoralisches aufgezeichnetes Bildmaterial«, und wer sie ansieht, macht sich strafbar. Aber sie haben inzwischen eine riesige Fangemeinde in Pjöngjang und anderen Städten, wo Berichten zufolge Polizeibeamte, die den Auftrag haben, die Videos zu konfiszieren, sie sich selbst anschauen und Teenager inzwischen die weiche Intonation der koreanischen Sprache nachahmen, wie sie von Oberschichtstars in Seoul gepflegt wird. 34
Diese TV-Serien haben Jahrzehnte der nordkoreanischen Propaganda zunichtegemacht, die noch immer behauptet, der Süden sei ein armes, unterdrücktes undunglückliches Land und dass sich die Südkoreaner danach sehnten, mit dem Norden wiedervereinigt zu werden, natürlich unter der väterlichen Hand der Kim-Dynastie.
Im vergangenen halben Jahrhundert haben die Regierungen Chinas und Nordkoreas gemeinsam unter dem Einsatz ihrer Sicherheitskräfte dafür gesorgt, dass die vereinzelte Abwanderung von Nordkoreanern über die Grenze nicht zu einer Massenabwanderung wurde. Nach Aussage der südkoreanischen Regierung wurde Anfang der sechziger Jahre von den beiden Mächten ein geheimes Abkommen über Grenzsicherheit geschlossen. Ein zweites Abkommen 1986 verpflichtete China, Flüchtlinge nach Nordkorea zurückzuschicken, wo ihnen Verhaftung, Folter und monate- oder jahrelange Zwangsarbeit in Lagern drohten.
Indem es seine Bürger im eigenen Land einsperrt, verstößt Nordkorea gegen eine internationale Vereinbarung, zu deren Einhaltung sich seine Regierung verpflichtet hat. In einem Abkommen der Vereinten Nationen vom Dezember 1966 (»Zivilpakt«) heißt es: »Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.« 35
Indem China alle nordkoreanischen Flüchtlinge als »Wirt schaftsflüchtlinge« definiert und wieder zurückschickt, entzieht sich seine Regierung ihren Verpflichtungen als Unterzeichner der Internationalen Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Peking weigert sich, den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, ihr Recht auf Asyl geltend zu machen, und hindert das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen daran, entlang der chinesisch-nordkoreanischen Grenze sein Amt wahrzunehmen.
Das internationale Recht ist letztlich durch die strategischen Interessen Nordkoreas und Chinas ausgeschaltet worden. Ein Massenexodus aus Nordkorea könnte das Land beträchtlich entvölkern, seine ohnehin unzureichende Fähigkeit, ausreichende Mengen an Nahrungsmitteln zu produzieren, noch weiter beeinträchtigen und die Regierung schwächen oder gar stürzen. Das Risiko eines solchen Exodus nimmt zu, da die Wirtschaft Chinas boomt, die Nordkoreas dagegen schwächelt und es sich herumspricht, dass das Leben in China besser ist.
Der chinesischen Regierung kann an einem unkontrollierten Zustrom verarmter nordkoreanischer Flüchtlinge nicht gelegen sein, und zwar aus mehreren Gründen: Er würde die ohnedies schlechte wirtschaftliche Lage in den drei nordöstlichen Provinzen des Landes verschärfen, an denen die
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