Flucht aus Lager 14
gewidmet, die jetzt in Südkorea wohnen, wo sie von der Regierung in Seoul eine Wohnung und weitere Beihilfen erhalten.
Einige dieser Sender werden von geflohenen Nordkoreanern betrieben, die für die Beschaffung von Informationen Reporter in Nordkorea angeworben haben. Diese Reporter, die Handys benutzen und Ton- und Videoaufnahmen auf winzigen USB -Sticks aus dem Land schmuggeln, haben die Berichterstattung über Nordkorea revolutioniert. Es hatte Monate gedauert, bis die Außenwelt von Wirtschaftsreformen erfuhr, mit denen die Beschränkung privater Märkte in Nordkorea 2002 gelockert wurde. Sieben Jahre später, als die nordkoreanische Regierung eine katastrophale Währungsreform verhängte, die Zehntausende Händler in den Ruin trieb und sie gegen die Regierung aufbrachte, wurde die Nachricht bereits nach wenigen Stunden von Free North Korea Radio ausgestrahlt.
Innerhalb Nordkoreas kann das Abhören dieser Sender bis zu zehn Jahre Lagerhaft bedeuten. Doch das Land wurde in den letzten Jahren mit billigen Radioempfängern überschwemmt, die aus China über die Grenze geschmuggelt wurden. Zwischen fünf und 20 Prozent der Nordkoreaner schalten, nach einer wissenschaftlichen Umfrage in China unter nordkoreanischen Flüchtlingen, Händlern und Reisenden, die sich aus anderen Gründen in China aufhalten, täglich mindestens einmal das Radio ein. 36 Viele von ihnen haben den Forschern erzählt, dass das Hören ausländischer Sendungen ein wesentlicher Ansporn für sie gewesen sei, das Land zu verlassen. 37
Als er auf der chinesischen Rinderfarm vor dem Radio saß, war es tröstlich für Shin, Stimmen zu vernehmen, deren Sprache er verstand. Er hörte die aufregenden, wenn auch jahrealten Nachrichten, dass einige hundert geflohene Nordkoreaner von Vietnam nach Seoul geflogen worden waren. Besonders aufmerksam lauschte er Berichten über die Bedingungen bei der Grenzüberschreitung nach China, die Routen, die von den Flüchtlingen gewählt wurden, um von China nach Südkorea zu gelangen, und das Leben, das sie jetzt führten.
Shin hatte jedoch meist Schwierigkeiten, das, was er im Radio hörte, zu begreifen.
Die Zielgruppe der Radiosendungen waren gebildete Nordkoreaner, die mit den staatlichen nordkoreanischen Medien aufgewachsen waren, in denen die gottähnliche Macht und die Weisheit der Kim-Familiendynastie gepriesen wurden und die ihre Hörer warnten, dass die Amerikaner, Südkoreaner und Japaner sich verschworen hätten, die gesamte koreanische Halbinsel zu übernehmen. Im Lager 14 war Shin dieser Propaganda nie ausgesetzt gewesen, und jetzt hörte er die Gegenpropaganda des Westens mit den Ohren eines Kindes – neugierig, verwirrt, manchmal auch gelangweilt, aber stets ohne dass er sie hätte einordnen können.
Park hatte in den vier Wochen, in denen er Shin darüber aufklärte, was draußen in der Welt vor sich ging, auch die nordkoreanische Regierung scharf kritisiert. Doch Shin hatte nur so getan, als interessierte er sich dafür. Wirklich interessant wurde es für ihn erst, wenn Park vom Essen erzählte.
Viele der Berichte über Nordkorea machten Shin ratlos und verunsicherten ihn. Er wusste kaum etwas von Kim Jong Ils Familie und noch weniger darüber, was die übrige Welt über ihn dachte. Aber es gab niemanden, mit dem er darüber hätte reden können.
Ohne eine gemeinsame Sprache mit den Menschen in seiner Umgebung wurde seine Einsamkeit bei dem Viehzüchter schmerzlicher als die Isolierung im Arbeitslager.
Als sich im Spätherbst 2005 der Winter in den Bergen ankündigte, beschloss Shin aufzubrechen.
Im Radio hatte er gehört, dass koreanische Kirchen manchmal den Flüchtlingen behilflich waren. So überlegte er sich einen groben Plan: Er wollte sich Richtung Westen und Süden aufmachen und dabei eine möglichst große Distanz zwischen sich, Nordkorea und die an der Grenze patrouillierenden Soldaten legen. Danach wollte er nach freundlich gesinnten Koreanern Ausschau halten. Mit ihrer Hilfe hoffte er eine feste Anstellung in Südchina zu finden und ein bescheidenes Leben führen zu können. Er hatte inzwischen jede Hoffnung aufgegeben, Südkorea zu erreichen.
Shin sprach inzwischen so viel Chinesisch, dass er dem Viehzüchter sagen konnte, warum er gehen wolle. Er erklärte ihm, wenn er weiter in der Nähe der Grenze bleibe, werde er eines Tages von der Polizei verhaftet und gewaltsam über die Grenze nach Nordkorea abgeschoben.
Ohne viele Worte zu verlieren, zahlte ihm der Mann 600 Yuan
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