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Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
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aus, was etwa 72 Dollar entsprach. Zehn Monate lang hatte sich Shin um die Rinder gekümmert, das ergab einen Tageslohn von gerade einmal 25 Cent. Gemessen an den 60 Cent pro Tag, die er auf der Schweinefarm verdient hatte, hätte er in seinen Augen mindestens das Doppelte erhalten sollen.
    Man hatte ihn betrogen, doch wie alle Nordkoreaner, die in China arbeiteten, hatte er keine Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Als Abschiedsgeschenk gab der Verwalter Shin eine Straßenkarte mit und brachte ihn zur Busstation im nahe gelegenen Helong.
    Im Vergleich zum Reisen in Nordkorea empfand Shin das Reisen in China als einfach und sicher. Seine Kleidung – das Geschenk des Schweinezüchters – war die der Einheimischen, und sein Verhalten und sein Gesicht ließen nicht den Verdacht aufkommen, dass er ein Nordkoreaner auf der Flucht war, wenn er unterwegs den Mund hielt.
    Selbst wenn Shin in einem Gespräch mit ethnischen Koreanern, an die er sich wegen eines Essens oder einer Arbeit gewandt hatte, seine Herkunft erwähnte, konnte er feststellen, dass er nichts Besonderes war. Eine große Zahl von Flüchtlingen war schon vor ihm da gewesen. Die meisten Menschen, denen er begegnete, waren von Koreanern weder beunruhigt, noch waren sie an ihrem Schicksal interessiert. Sie waren ihrer einfach überdrüssig.
    Niemand wollte Shins Papiere sehen, als er in Helong ein Ticket für eine Strecke von 170 Kilometern bis Changchun kaufte, der Hauptstadt der Provinz Jilin, oder als er einen Zug nach Peking bestieg, eine Strecke von 800 Kilometern, oder 1600 Kilometer in einem Bus nach Chengdu fuhr, einer Fünfmillionenstadt in Südwestchina.
    Shin begann mit der Arbeitssuche in Chengdu, ein Ziel, das er sich auf gut Glück am Busbahnhof in Peking ausgesucht hatte.
    In einem koreanischen Restaurant fand er eine Zeitschrift, die Namen und Adressen mehrerer kleiner Kirchen enthielt. Bei jeder dieser Kirchen fragte er als Erstes nach dem Pastor und erklärte, er sei Nordkoreaner und brauche Hilfe. Koreanische Pastoren gaben ihm etwas Geld in chinesischer Währung, einmal im Wert von rund 15 Dollar, aber keiner hatte Arbeit oder eine Unterkunft für ihn. Einige wiesen ihn einfach ab. Es sei verboten, einem nordkoreanischen Flüchtling zu helfen, erläuterten sie.
    Wenn er in China irgendjemanden um Hilfe bat, achtete Shin darauf, nicht zu viel zu sagen. So erzählte er niemandem, dass er aus einem politischen Lager in Nordkorea geflohen war, weil er befürchtete, dass sein Gegenüber versucht sein könnte, ihn der Polizei zu übergeben. Er bemühte sich, längere Gespräche zu vermeiden. Und er hielt sich fern von Hotels und Gästehäusern, weil er befürchten musste, dass man nach seinen Papieren fragen würde.
    Stattdessen verbrachte er manche Nacht in » PC Bangs«, den überall anzutreffenden ostasiatischen Internetcafés, in denen junge, zumeist unverheiratete Männer rund um die Uhr am Computer spielen und im Internet surfen.
    Shin stellte fest, dass er hier Tipps bekommen und sich ausruhen konnte, wenngleich an richtigen Schlaf nicht zu denken war. Er sah kaum anders aus als die vielen ziellosen, arbeitslosen jungen Männer, die in solchen Räumen herumhängen, und kein Mensch wollte einen Ausweis sehen.
    Nachdem ihn in Chengdu acht Kirchen abgewiesen hatten, machte sich Shin auf die lange, deprimierende Busfahrt zurück nach Peking, wo er sich zehn Tage auf die Jobsuche in koreanischen Restaurants konzentrierte. Manchmal gaben ihm Eigentümer oder Manager etwas zu essen und ein wenig Geld, aber keiner hatte Arbeit für ihn.
    Trotz der vergeblichen Arbeitssuche geriet Shin weder in Panik, noch ließ er sich dadurch entmutigen. Etwas zu essen zu haben hatte für ihn einen weitaus größeren Wert als für die meisten anderen Menschen, und überall, wo er in China hinkam, gab es einen unglaublichen Überfluss davon. Zu seinem Erstaunen war China ein Ort, wo anscheinend selbst die Hunde gut gefüttert waren, und wenn er zu wenig Geld hatte, um sich etwas zu essen zu kaufen, bettelte er einfach. Er stellte fest, dass die Chinesen ihm zumeist etwas gaben.
    Shin gelangte zu der Überzeugung, dass er nie verhungern würde. Dieser Gedanke beruhigte seine Nerven und stärkte seine Hoffnung. Er musste nicht mehr in ein Haus einbrechen auf der Suche nach Nahrung, Geld oder Kleidung.
    Shin verließ Peking wieder und fuhr mit einem Bus 100 Kilometer nach Tianjin, einer Stadt mit zehn Millionen Einwohnern. Dort versuchte er erneut sein

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