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Flucht aus Oxford

Titel: Flucht aus Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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ein junger Mann. Er war etwa einsachtzig groß, sonnengebräunt, trug einen Pferdeschwanz und hatte das Gesicht einer klassischen Statue.
    »Russell Stevenson?«, fragte Kate.
    »Russell ja, Stevenson nein«, war die Antwort. »Stevenson ist mein Kumpel. Er ist der Mieter, und ich wohne bei ihm.«
    Kate hatte nicht mit so viel Entgegenkommen gerechnet. Sie setzte ein warmes, möglichst unverbindliches Lächeln auf – zumindest hoffte sie das – und ging auf ihn zu.
    Auch aus der Nähe betrachtet sah er noch gut aus, abgesehen von den Kratern, die eine frühere Akne auf seiner Haut hinterlassen hatte. Außerdem roch er nach Maschinenöl, schalem Zigarettenrauch und rohen Zwiebeln.
    »Ich suche einen gewissen Russell«, sagte sie. »Seinen Nachnamen kenne ich nicht.«
    »Und wer sind Sie?«, fragte er. Seine Stimme war ein wenig höher als erwartet.
    »Mein Name ist Kate Ivory. Ich war eine Freundin von Donna.«
    »Ach ja?« Sein nicht unbedingt freundlich gemeintes Lächeln enthüllte eine Reihe unregelmäßiger weißer Zähne. »Ich wusste gar nicht, dass sie so schnieke Freunde hatte. Jedenfalls keine Frauen.«
    »Darf ich reinkommen? Ich möchte gern mit Ihnen reden.«
    Er schnaubte durch die Nase. »Aber nur auf eigenes Risiko«, sagte er, trat beiseite und ließ sie herein.
    Kate wurde bewusst, dass sie ein fürchterliches Durcheinander erwartet hatte – etwa einen Haufen leerer Pizzaschachteln und zusammengedrückter Bierdosen auf dem Boden. Doch Russells Wohnung war sauber und aufgeräumt. Die einzigen Anzeichen dafür, dass hier überhaupt jemand lebte, waren der flackernde, auf stumm geschaltete Fernseher in der Ecke und ein Aschenbecher mit einigen Zigarettenstummeln auf dem niedrigen Tisch. Der hässliche rot und blau gemusterte Teppich war erst kürzlich gesaugt worden, und nirgends standen benutzte Kaffeebecher herum.
    »Setzen Sie sich, wo Sie möchten«, forderte Russell sie auf.
    Kate nahm Platz.
    »Möchten Sie vielleicht einen Tee? Oder etwas anderes?«, fragte er verlegen, als ob ihm diese Art Höflichkeit vor langer Zeit von seiner Mutter eingebläut worden war.
    »Nein, danke.«
    »Was wollen Sie von mir? Sind Sie Sozialarbeiterin oder so?«
    »Nein, absolut nicht. Ich bin Schriftstellerin und wohne zurzeit in Aphra Callans Cottage am anderen Ende des Dorfs.«
    »Was ist das denn für ein Name?« Russell hatte sich neben sie gesetzt, allerdings im rechten Winkel zu ihr, und streckte seine langen Beine über den Teppich. Er war ganz in Schwarz gekleidet und strahlte eine verwirrende Körperlichkeit aus. Ich spüre die animalische Natur dieses menschlichen Männchens, dachte Kate in einer für sie unüblichen, blumigen Ausdrucksweise.
    »Aphra ist wirklich ein blöder Name«, stimmte Kate zu. »Ich nenne sie nur Callie. Jedenfalls wohne ich im Augenblick in Crossways Cottage, und vor ein paar Tagen tauchte Donna auf, um sich um den Garten zu kümmern.«
    »Ja und?« Russel begann, sich eine Zigarette zu drehen. »Möchten Sie auch eine?«, fragte er. Kate schüttelte den Kopf. Seine nikotinfleckigen Finger, die den Tabak fast zärtlich in das dünne Papier einwickelten, faszinierten sie. Er warf ihr einen scharfen Blick zu, dann leckte er am Ende des Papierchens, um die Tabakrolle zusammenzukleben. Seine Zunge war lang, sehr rot und liebkoste das Zigarettenpapier für eine scheinbar viel zu lange Zeit.
    »Donna erzählte mir, dass sie am Abend ihren Freund treffen wollte.« Verlegen stellte Kate fest, dass ihre Stimme nicht ganz sicher klang. »Sie hat mir seinen Namen nicht verraten, doch sie sagte, dass sie ihn ›ihren Raben‹ nannte. Sind Sie das vielleicht?« Es machte keinen Sinn, lange um den heißen Brei zu reden. Entweder würde Russell sprechen, oder aber nicht. Es würde ihr nicht weiterhelfen, ihm noch länger um den Bart zu gehen, das wusste sie. Nicht, dass Russell wie ein Rabe ausgesehen hätte. Sie persönlich hätte ihn nach einem weitaus gefährlicheren Vogel benannt – einem Adler vielleicht, oder einem Falken.
    »Was wollen Sie wissen? Und was hat das alles mit Ihnen zu tun? Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso Sie herkommen und mir diese Fragen stellen. Kommen Sie ganz bestimmt nicht von der Fürsorge?«
    »Ganz bestimmt nicht.«
    »Polizei vielleicht?«
    »Erst recht nicht. Sehe ich etwa aus wie eine Polizistin?«
    »Sie sehen aus wie eine piekfeine Puppe, die sich in eine Sozialwohnung verlaufen hat«, sagte Russell.
    »So ähnlich fühle ich mich auch.«
    »Dann

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