Flucht aus Oxford
spät.« Kate grinste.
12
Am nächsten Morgen erinnerte Roz ihre Tochter daran, dass sie versprochen hatte, in Broombanks nach dem Raben zu suchen.
»Das soll ich versprochen haben? Ich erinnere mich an nichts.«
»Ich schon. Tim Widdows ist mein Zeuge.«
»Aber ich kenne doch noch nicht einmal seinen Namen! Wenn ich herumlaufe und nach einem gewissen Raben frage, hält man mich doch für komplett bescheuert!«
»Du hast ein helles Köpfchen. Dir wird sicher ein Weg einfallen, wie du seinen richtigen Namen herausfindest. Heute Nachmittag kommt Tim zum Tee und will sicher wissen, wie weit du gekommen bist.«
»Hör endlich mit diesem Tim auf!«
»Das ist nur meine mütterliche Fürsorge in Bezug auf dein emotionales Wohlergehen.«
Kate gab ein Geräusch von sich, das stark an das dörfliche »Mnerf« erinnerte und absolut nicht mit kindlicher Achtung für die eigene Mutter vereinbar war.
Insgeheim musste Kate jedoch zugeben, dass ihr eine Menge daran lag, die Wahrheit über Donnas Tod herauszufinden. Und den Raben zu suchen und ihn zu befragen schien ihr ein guter Anfang zu sein. Wenn sich Donna an jenem Abend nach der Arbeit in Crossways Cottage tatsächlich mit ihm getroffen hatte, war er vielleicht der letzte Mensch, der sie lebend zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht wusste er sogar, was sie in der Scheune der Fullers zu suchen hatte. Ob er allerdings auf ihre Fragen antworten würde, war eine ganz andere Frage.
Hinzu kam, dass Kate kein Interesse daran hatte, nichts vorweisen zu können, wenn Tim Widdows am Nachmittag zum Tee kam. Nicht etwa, dass sie den Plänen ihrer Mutter in dieser Richtung Folge leisten wollte. Ganz und gar nicht! Kate dachte einen Moment nach und traf eine Entscheidung.
Sie ging zur Eingangstür und warf einen Blick auf den Spielplatz gegenüber. Zwei junge Mütter, deren Kinder noch zu klein für die Schule waren, saßen auf dem Karussell, beobachteten ihre Kinder und rauchten. Kate überquerte die Straße und betrat den Spielplatz.
»Guten Morgen«, rief sie.
Die beiden Frauen blickten auf. »Ja?«, fragte eine von ihnen knapp.
»Schöner Tag heute, nicht wahr?«, sagte Kate und ging zu ihnen hinüber. Eine der beiden Frauen hatte dunkles Haar und schweres Übergewicht, die andere war schlanker; ihr blond gefärbtes Haar zeigte schwarze Wurzeln. »Ich bin neu hier. Mein Name ist Kate.« Sie schenkte den beiden Frauen ihr freundlichstes und klügstes Lächeln.
»Okay«, nickte die Übergewichtige.
»Hör sofort damit auf, Ryan, oder du fängst dir eine, kleiner Scheißkerl!«, keifte die Blonde. Sie brachte es fertig, den ganzen Satz ohne Konsonanten, sondern nur mit einer Reihe von Knacklauten hervorzubringen.
»Wohnen Sie hier in der Nähe?«, erkundigte sich Kate.
»In Broombanks«, sagte die Fette unwillig. »Warum? Was soll die Fragerei?«
»Das ist am anderen Ende des Dorfes, nicht wahr?«
»Stimmt«, erwiderte die Blonde. Die beiden Frauen starrten Kate an, als käme sie von einem anderen Stern. Genau genommen fühlte sie sich auch so.
»Ich bin auf der Suche nach einem jungen Mann, der in Broombanks wohnt. Er hat sehr dunkles, straff zurückgekämmtes Haar, das er zum Pferdeschwanz gebunden trägt, und ist immer schwarz gekleidet. Kennen Sie ihn vielleicht?«, fragte Kate unter Aufbietung ihres gesamten Charmes.
Die beiden Frauen sahen sich gegenseitig an und blickten dann auf Kate. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Er ist mit einer meiner Freundinnen bekannt.« Sie empfand das Gespräch als ausgesprochen schwerfällig.
»Sie stehen wohl auf den Kerl, was?« Die Übergewichtige lachte.
»Wenn Sie ihn nett bitten, tut er Ihnen bestimmt gern einen kleinen Gefallen«, fügte die Blonde hinzu.
»Das lag eigentlich nicht in meiner Absicht«, versetzte Kate kühl. »Kennen Sie den Mann?«
»Schon. Das kann doch nur Russell sein, oder? Was sagst du, Michelle?«
»Kann sein.«
»Und er wohnt in den Häuserblocks in Broombanks, nicht wahr?«
»Wenn er der Freund einer Freundin von Ihnen ist, wieso wissen Sie dann nicht, wo er wohnt, und kennen seinen Namen nicht?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Kate, »die Sie nicht interessieren wird.«
»Bestimmt sind Sie nur scharf auf ihn.« Die Fette grinste. »Viele sind das. Glauben Sie ja nicht, dass Sie die Einzige sind. Sie brauchen sich nur in die Warteschlange vor seiner Tür zu stellen.« Die beiden jungen Frauen brachen in Gelächter aus.
»Hey, Melissa, hör sofort damit auf, du blöde Kuh!«,
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