Flucht aus Oxford
sein.«
»Jetzt sind Sie aber ungewöhnlich höflich!«
Tim lächelte nervös. »Wir sind ein paar Minuten zu früh. Ist ihnen in diesem Blazer warm genug?«
»Kein Problem. Hier unter dem Torbogen steht man schön geschützt.«
Zum Glück für beide kam in diesem Moment Tony und erlöste sie aus ihrer gestelzten Unterhaltung. Jeder von uns hat sich bemüht, ein bestimmtes Thema anzuschneiden, dachte Kate, aber wir hatten beide keinen Erfolg.
»Hallo, Tim und Kate«, begrüßte Tony sie. »Schön, dass ihr gekommen seid. Kate, Sie sehen umwerfend aus. Dieses Gelb steht Ihnen einmalig gut.«
»Danke«, sagte Kate höflich.
Tony war in gedeckte Farben gekleidet. Zum dunklen Anzug trug er ein blaues Hemd und eine ebensolche Krawatte. »Ich muss nur eben kurz ins Pförtnerhaus, meine Robe holen«, sagte er. »Hier im College geht man mit diesen Kleinigkeiten eher konservativ um.«
»Dafür brauchen Sie sich doch nicht zu entschuldigen«, wandte Kate ein. »Genau diese Umstände machen einen Besuch in einem College so interessant.«
»Richtig«, sagte Tony, nachdem er wenige Minuten später mit der schwarzen, zusammengelegten Robe unter dem Arm wieder auftauchte. »Wir können hier entlanggehen. Es ist noch hell genug, um etwas zu sehen.«
Und so schlugen sie jenen Weg ein, an den Kate sich nur allzu gut erinnerte – den Weg durch den Professorengarten mit der ehrwürdigen, alten Birke, unter der sie einst einen gut aussehenden jungen Dozenten kennengelernt und mit ihm eine Schale Erdbeeren geteilt hatte. Das liegt lange zurück , hämmerte sie sich ein. Es ist vorbei . Ein paar freundliche Wasserspeier schienen sie anzulächeln und ihr zuzublinzeln; jedenfalls kam es ihr so vor. Sie erreichten ein elegantes Bauwerk aus dem achtzehnten Jahrhundert. Tony blieb stehen und zog sich seine zerknitterte Robe über, ehe sie den Common Room betraten.
»Wir sind die Ersten«, stellte er fest. »Kann ich euch einen Sherry anbieten?«
»Nett von Ihnen«, säuselte Kate. Sie hasste Sherry.
Seit ihrem letzten Besuch war der Raum gründlich renoviert und neu ausgestattet worden. An den Wänden prunkte eine terracottafarbene Tapete, die ein im gleichen Farbton glänzendes Muster aufwies, die Vorhänge hatte man einige Schattierungen dunkler gewählt, und die Lehnsessel waren in gedecktem Grün und Türkis gehalten. Kate war froh, dass sich das Zimmer verändert hatte, weil sie auf diese Weise vorgeben konnte, noch nie hier gewesen zu sein.
Die Tür ging auf. Zwei weitere Personen betraten den Raum, unmittelbar gefolgt von einer dritten. Ihre Gesichter kamen Kate vertraut vor, obwohl sie ihnen keine Namen zuordnen konnte. Alle drei trugen Roben, was bedeutete, dass es sich bei ihnen um Angehörige des Colleges handelte. Als Nächste kamen zwei Leute in Straßenkleidung, und Kate fühlte sich erleichtert, dass sie und Tim nicht die einzigen geladenen Gäste bei diesem Dinner waren.
»Magnifizenz, darf ich Ihnen meine heutigen Gäste vorstellen? Kate Ivory, die bekannte Schriftstellerin, und Timothy Widdows, Pfarrer von St. Michael in Gatt’s Hill.«
»Sie haben in Leicester studiert, nicht wahr?«, erkundigte sich der Rektor. »Ich erinnere mich an Sie.«
»Richtig, Magnifizenz«, bestätigte Tim, und sie vertieften sich in eine für Kate unverständliche Unterhaltung. Sie trat einen Schritt zurück und wechselte einige Worte mit Tony. Insgeheim war sie dankbar, dass sie nicht mit dem Rektor sprechen musste. Zwar war es durchaus nicht sicher, dass Bill Stanton sie nach so langer Zeit wiedererkennen würde, doch schließlich wusste man nie …
Allmählich füllte sich der Raum. Die meisten Anwesenden waren männlichen Geschlechts und trugen die vorschriftsmäßige Robe. Außer Kate und Tim gab es noch vier oder fünf geladene Gäste. Tony stellte sie einander vor. Überrascht konstatierte Kate, dass die Gesprächsthemen um keinen Deut intellektueller waren als die Konversation bei den Hope-Stanhopes, und hoffte, dass zumindest das Essen besser schmeckte. Allerdings wusste sie, dass der Küchenchef des Leicester in ganz Oxford gerühmt wurde; sie durfte sich also wahrscheinlich auf ein ausgezeichnetes Mahl freuen.
Schließlich schlug ein Kellner den Gong. Die Dozenten und ihre Gäste stellten sich nach Dienstalter geordnet der Reihe nach auf und nahmen in einer langen Prozession ihre Plätze am High Table, dem Professorentisch, ein. Wenn es einem nichts ausmachte, vor zweihundert oder mehr Studenten auf dem
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