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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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seine Notdurft irgendwo in der Landschaft
zwischen Oliven-, Feigen- und Mandelbäumen oder im Gestrüpp. Wenn man sich
waschen wollte, musste man erst einmal Wasser vom Brunnen holen, das machte
Zina jeden Morgen. Sie stand mit der Sonne auf, führte die Ziegen zur Weide und
holte Wasser, wofür sie weit gehen musste. Den schweren Kanister trug sie auf
dem Rücken – kraft ihrer starken Nackenmuskulatur an einem Lederriemen um die
Stirn. Auf dem steinigen Boden in ihrer kleinen Küche knieend, bereitete sie
die Mahlzeiten zu. Brot backte sie an einer offenen Feuerstelle. Das alles
empfand ich als schmerzlich, aber auch als ehrlich. Ihr hartes Leben erfüllte
mich mit Ehrfurcht.
    Zum Duschen wurde ein Zimmer als Bad umfunktioniert, man schüttete
sich dort Wasser über den Körper und wischte danach den Boden. Eigentlich ganz
praktisch.
    Mohamed belastete unser Aufenthalt bei seinen Eltern. Er selbst
wohnte nun schon länger in Djerba und hatte sich an einigen Luxus gewöhnt. Eine
Toilette, eine Dusche, das waren für ihn Selbstverständlichkeiten. Durch die
Distanz begriff er erst recht oder noch einmal ganz neu, in welch bitterer
Armut seine Eltern lebten, und das machte ihn unendlich traurig, auch wenn ich
ihm oft sagte, wie wohl ich mich hier fühlte und wie gut es mir gefiel. Emira
war begeistert, denn sie und Nawres hatten sich gesucht und gefunden. Die
beiden Mädchen waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich, und für Emira war
es klar: »Mama, hier bleiben wir jetzt, okay?«
    Obwohl alles in dem kleinen Haus von Mohameds Familie sehr
einfach war, empfand ich es als geschmackvoll: Die Wände waren in einem schönen
Blauton gestrichen, der gerade auch in Deutschland modern war, wie ich bei
meinem letzten Ikeabesuch festgestellt hatte. Ohnehin galten arabische
Dekogegenstände als der letzte Schrei. In einer Brigitte hatten Modells mit Ziegen posiert, vor Hauswänden mit abgeblättertem Putz. Doch
das hier war keine Deko, das war echt. Das war die Wirklichkeit, das pure
Leben. Endlich hatte ich gefunden, wonach ich die ganze Zeit gesucht hatte.
    Was braucht ein Mensch, um glücklich zu sein? Was braucht ein Mensch
wirklich? Was ist nötig, damit ein Mensch existieren kann?
    Endlich war ich der Scheinwelt der neureichen Tunesier in den
Luxushotels entronnen. Das hier war das wahre Gesicht der Menschen dieses
Landes. Ich war angekommen.
    Leider konnten wir hier nicht lange bleiben, es war zu eng, und
vielleicht fehlte Mohameds Eltern auch das Geld, drei zusätzliche Esser auf
Dauer zu verköstigen. Ich hätte gern für sie eingekauft – doch ich wusste
nicht, wo.
    Wir beschlossen, uns hoch in den Bergen eine Höhle zu suchen. Die
Höhlenwohnungen um Mathmata faszinierten mich. Vor Jahrhunderten, vielleicht
sogar Jahrtausenden, das wusste keiner genau, hatten die Menschen hier ihre
Behausungen in das poröse Gestein der Hügel geschlagen. Wabenartige Gebilde
waren es, rund um einen zentralen Innenhof gruppierte Räume, von dem aus sich
die Wände trichterförmig nach oben zum Licht erstreckten. Kaum sah man die
Eingänge, die zu den Wohnungen führten. Ein ideales Versteck. Und nicht alle
waren so einfach, wie ich gedacht hatte. Manche hatten sogar Strom und einen
Fernseher. Aber das brauchten wir nicht.
    Auf einem Markt kauften wir alles, was man für einen Campingurlaub
benötigt, und genügend Essen für einige Tage. Wir fanden einen herrlichen Platz
mit Blick über die weite Landschaft. Weit am Horizont leuchtete das strahlend
blaue Meer. In dieser Mondlandschaft um Mathmata wurde der Krieg
der Sterne gedreht.
    Nachts zogen wir uns in die Höhle zurück, tagsüber erkundeten wir
die Gegend. In einem Erdloch brieten wir Fleisch mit Rosmarinsalz und Thymian, Kouch Arbi . Bei diesem traditionellen Gericht bleibt das
Fleisch mehrere Stunden in der heißen Erde. Mit Sand wird es dicht
abgeschlossen, es schmeckt sehr aromatisch und ist weich wie Butter.
    Nach einer Woche verließen wir unsere Höhle, da wir zu einer
Hochzeit eingeladen waren: Ein Urgroßcousin oder Dreiviertelonkel aus Mohameds
weitläufiger Verwandtschaft feierte in Toujane. Dort erfuhren wir, was wir
schon wussten: dass nach uns gesucht wurde. Angeblich hatte Farid sogar eine
Art Kopfgeld auf uns angesetzt: hundert Dinar für denjenigen, der unseren
Aufenthaltsort verriet.
    Als ich das hörte, zitterten meine Hände. Ich konnte mich nicht mehr
beruhigen. Auch Mohamed geriet in Panik. Wir warteten die Dämmerung ab und
verließen Toujane ohne

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