Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
ihr auch wirklich keiner folgte. Zum Glück hatte Abigail Cooper keine Ahnung von ihren heimlichen Treffen mit Joshua. Sie traute es dieser Person durchaus zu, nachts auf der Lauer zu liegen und sie zu beobachten.
Vor ihr lagen die Klippen. Sie hörte, wie die Brandung an die weiter vorgelagerten Felsen schlug. Der Wind, der vom Meer her kam, streifte ihr Gesicht.
Vorsichtig stieg sie den schmalen, holprigen Weg hinunter, der zwischen den Felsen zum Strand führte. Die Ginsterbüsche, die alle paar Meter zwischen den Steinen wuchsen, boten nur illusorischen Schutz. Sie würden nicht lange halten, sollte sie stolpern und sich an ihnen festhalten müssen. Dennoch war sie sich der Gefahr, in die Tiefe zu stürzen, kaum bewußt. Joshua wartete auf sie, allein das zählte!
Endlich hatte sie den Strand erreicht. Sie lief durch den Sand auf ein Felsentor zu, das in ein weiteres Strandstück mündete. Hier lagen und standen unzählige Findlinge, die wie Daumen aus dem Sand ragten.
Joshua kam hinter einem der Findlinge hervor. Er ging ihr entgegen und nahm sie in die Arme. "Es ist gefährlich, was wir tun, Ellen", sagte er. "Wenn uns jemand sieht und an deinen Vater verrät, wird es keine Gnade geben."
"Hast du Angst?" Sie blickte ihm herausfordernd in die Augen. Das Mondlicht verlieh seinen dunkelblonden Haaren einen silbernen Schimmer.
"Ja, ich habe Angst", gestand er, "aber sie kann mich nicht daran hindern, dich zu sehen. Außerdem mache ich mir nicht einmal soviel Sorgen um mich, wie um dich. Kennst du die Geschichte von Sarah Ashburn? Als ihre Familie dahintergekommen ist, daß sie sich heimlich mit dem Sohn eines Mannes traf, der beim König in Ungnade gefallen war, hat man sie einfach in ein Haus für Geisteskranke gebracht. Sie soll dort nach einigen Jahren gestorben sein."
"Das ist vor über hundert Jahren geschehen", antwortete Ellen. Meine Familie würde mich höchstens verstoßen, wie auch die Cousine meines Vaters verstoßen worden ist." Sie lachte leise. "Gerade heute hat mir meine Mutter wieder einmal Mary vorgehalten." Sie erzählte ihm von der Unterredung mit ihrer Mutter. "Ich werde mich nicht zwingen lassen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe." Sie schaute ihm erneut in die Augen. "Ich liebe dich, Joshua, nur dich." Wie von selbst schlossen sich ihre Hände um seinen Nacken.
Joshua beugte sich zu ihr hinunter und küßte sie sanft auf den Mund. "Und ich liebe dich, Darling", sagte er kaum hörbar. "Ohne dich wäre mein Leben öd und leer."
Zärtlich zog er sie an sich. In den letzten Wochen hatte er sehr oft überlegt, ob er Ellen nicht einfach entführen sollte, aber wohin sollten sie gehen? Die Macht des Duke of Rowland reichte weit über die Grenzen Cornwalls hinaus. Wenn man sie aufgriff, drohte ihm die Verhaftung und Ellen würde für den Rest ihres Lebens hinter den Mauern irgendeiner Anstalt verschwinden. Ellens Vater kannte kein Mitleid, weder mit seinen Angestellten, noch mit seiner Tochter. Er betrachtete sie genauso als sein Eigentum wie seine Pächter.
"So sehr liebst du mich?" neckte sie mit einem schelmischen Lächeln.
"Mehr als Worte sagen können", erwiderte er und küßte sie erneut.
* * *
Die Schneiderin, die nach Rowland Manor gekommen war, hatte alle Hände voll zu tun, um Lady Ellen mit all den Kleidern und der Wäsche auszustatten, die sich die Duchess of Rowland für ihre Tochter wünschte. Tag für Tag saß sie im Nähzimmer im zweiten Stock des Hauses, schnitt zu, heftete, betätigte die amerikanische Nähmaschine, die extra zu diesem Anlaß angeschafft worden war, und schaffte es kaum, auch einmal eine Pause einzulegen. Erst am Abend, wenn es zu dunkel zum Nähen geworden war, ging sie in den Wohnraum des Personals hinunter, um sich ein wenig zu unterhalten und von dem köstlichen Gebäck zu naschen, das die Köchin jeden Tag zubereitete.
In den Personalräumen wurde in diesen Tagen oft über die für Herbst und Winter geplanten Gesellschaften gesprochen. Eines der Hausmädchen hatte die Liste der Herren gesehen, die Abigail Cooper im Auftrag von Lady Victoria zusammengestellt hatte. Es wurde viel darüber geklatscht, wer von ihnen sich wohl noch vor Ende der Saison mit Lady Ellen verloben würde. Weder der Butler, noch die Hausdame schafften es, diesem Klatsch Einhalt zu gebieten. Kaum hatten sie die Personalräume verlassen, wurde bereits wieder darüber gesprochen.
Ellen sah voller Sorge der ersten Gesellschaft entgegen. Das wunderschöne Kleid, das sie
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