Flucht nach Avalon
wäre sie längst ein Teil dieses geheimnisvollen Reiches.
Ich fragte sie nicht, wie sie in mein Zimmer gekommen war und den Gral an sich genommen hatte. Das erschien mir zweitrangig zu sein. Für mich gab es andere Dinge. »Lassen wir Avalon mal beiseite, Nadine. Du hast doch etwas mit mir vor?«
»Ja, ich möchte dich benutzen.«
»Okay, versuche es.«
»Es geht eben um das Weiße Haus. Es ist furchtbar, John, daß es diesem Wesen gelang, Avalon zu verlassen. Deshalb möchte ich, daß du es vernichtest oder zurückholst, wie auch immer. Es ist mörderisch, es kennt kein Pardon. Was es sich vorgenommen hat, setzt es durch. Bitte, du mußt mir helfen.«
»Gibt es denn keinen aus eurem Land, der in der Lage wäre, den Geist zu stoppen?«
»Ich wüßte niemand.«
»Er ist also ein Ritter?«
»Ja.«
»Gehört er zum Artus-Clan? Ist er einer der Ritter aus der Tafelrunde des Königs?«
»Bestimmt nicht, John. Es ist ganz anders und schwer zu erklären. Am besten, du schaust ihn dir einmal an.«
»Jetzt und sofort?«
Sie hielt den Dunklen Gral hoch. »Ja, das wäre am besten, John. Außerdem wirst du es allein durch ihn schaffen. Es ist ungemein wichtig, sag’ ich dir.«
Ich hätte mir am liebsten selbst gegen die Stirn geschlagen, weil ich eben alles so unwirklich und phantastisch fand. Hier wurde völlig normal über Angelegenheiten gesprochen, die als märchenhaft angesehen werden mußten.
»Willst du mir nicht glauben, John?«
Ich schaute zurück auf den Turm und das Tor. Es war schwer, das Land Avalon dahinter zu sehen. Nicht eben unmöglich, doch man mußte schon Phantasie besitzen.
Kilian Versy fiel mir wieder ein. In den letzten Minuten hatte er sich nicht gerührt. Er schaute Nadine und mich an, aber auf seinen Lippen lag ein glückliches Lächeln, als wäre er der lachende Dritte oder der große Sieger.
»Was sagst du?« fragte ich ihn.
Er beugte sich leicht vor. »Ich habe dich gesucht, John. Ich habe dich gefunden, und ich habe dich an diesen mythischen Ort gebracht. Das alles tat ich nicht ohne Grund. Ich hoffe, daß du den Weg gehen wirst, der vorbestimmt ist.«
»Durch Nadine.«
»Und den Dunklen Gral, John. Du bist der Besitzer dieses wertvollen Gefäßes. Gleichzeitig bist du mehr, denn durch den Besitz hast du auch eine große Verantwortung übernommen. Es ist nicht der Gral von Avalon, der Kelch der Mönche, den Parzival schon suchte und andere mehr…«
»Du meinst, die Schale, in der das Blut des Gekreuzigten aufgefangen wurde?«
»Ja, genau die.«
Ich nickte. »Das stimmt.« Ich wollte nicht mehr über die andere Sache nachdenken. Das brachte mich nur von meinen eigenen Gedanken ab.
Doch es gab die großen Verbindungen zwischen Avalon und dem anderen, dem geheimnisvollen Gral.
Ich hatte den Dunklen Gral gefunden, obwohl das Wort dunkel nicht das richtige war. Es assoziierte zu schlimme Eigenschaften, als würde er auf der Seite der Schattenwesen und der Nacht stehen. Bisher hatte ich ihn nur wenig eingesetzt, ich hatte ihn einfach nicht gebraucht, das schien sich nun zu ändern. Wahrscheinlich hatte ich ihn nur deshalb bekommen, damit er mir die Verbindung zur geheimnisvollen Insel der Äpfel herstellte.
Das war schon außergewöhnlich.
Der Professor aus Oxford lächelte mir zu, bevor er sich in Bewegungen setzte und auf mich zukam. Er legte mir beide Hände auf die Schultern.
Der Wind zerzauste sein Haar, auf seinem Gesicht lag Vertrauen, gemischt mit einem Lächeln. Zahlreiche Stimmen aus dem Unsichtbaren schienen mich zu umwehen, herangetragen vom Wind, der aus Westen wehte und diese Botschaften brachte.
»Ich wünsche dir viel Glück, John. Du bist derjenige, der den Weg einfach gehen muß. Ich kann dir nur die Daumen drücken, und ich weiß, daß der Richtige ausgesucht wurde.«
Mit einem Blick voller Skepsis schaute ich ihn an. »Wenn ich über deine Worte nachdenke, die mir wie ein Abschied vorkommen, habe ich den Eindruck, daß du mehr weißt, als du zugeben willst, Kilian.«
»Möglich…«
»Bist du nur dieser Professor?«
»Reicht das nicht?«
»Ich bin manchmal komisch, Kilian.«
»Keine Sorge, du kannst mir vertrauen. Ich will dir nichts Böses. Ich möchte nur, daß eine gewisse Ordnung eingehalten wird. Die Zeiten sind stürmisch, John. Nichts bleibt stehen. Alles befindet sich in Bewegung. Mal langsamer, mal schneller. Ein Jahr neigt sich wieder einmal dem Ende zu, es stirbt. Das neue steht bereit und holt schon tief Luft. Es wird voller
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