Flucht nach Colorado
umhin, sich Sorgen um die frostige Kälte zu machen, die in der Luft lag. Die Sonne würde gleich hinter den Bergen untergehen. Jordan beschloss, die Schuhe auszuziehen. Das kalte, klare Wasser würde seinen schmerzenden Zehen gut tun.
„Nicht", sagte sie.
„Warum nicht? Meine Füße bringen mich um."
„Auf einer Wanderung ist es immer besser, die Füße trocken zu halten. Davon abgesehen wäre es eine Qual, die Schuhe hinterher wieder anzuziehen." Sie stöhnte. „Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das überhaupt sage. Sie haben Schmerzen verdient."
Nun, es war ihre Aufgabe, Menschen zu heilen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie es fertig brächte, zuzusehen, wenn ein anderer litt. „Wie heißt noch mal das Motto des Rettungsdienstes?"
„... damit andere leben können." Sie blickte ihn düster an. „Aber ich glaube nicht, dass das auch für entlaufene Sträflinge gilt."
Er beschloss, sie trotzdem um Rat zu fragen. „Ich weiß, dass Sie einen kleinen Wasser-Reiniger in Ihrem Rucksack haben. Kann ich trotzdem aus diesem Bach trinken?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Versuchen Sie's."
Doch dann folgte Jordan doch lieber ihrem Beispiel und nahm einen Schluck lauwarmes Wasser aus der Flasche in seinem Rucksack. Zwar schmeckte es nicht ganz so gut wie Scotch und Soda, aber immerhin handelte es sich um Flüssigkeit. Bei all den Strapazen war es wichtig, nicht auszutrocknen.
Pookie hingegen schien der Meinung zu sein, dass das Quellwasser der Rocky Mountains ganz in Ordnung war. Begeistert tobte er durch den glitzernden Bach.
„Pookie!" rief Emily tadelnd. „Komm raus."
„Wuff, wuff." Pookie rutschte auf einem Stein aus und war von oben bis unten durchnässt.
„Wie soll ich es nur schaffen, dass er jemals auf mich hört?" fragte Emily verzweifelt.
„Lassen Sie ihn. Er ist doch noch ein Baby."
„Aber er muss jetzt anfangen zu lernen, sonst wird er niemals ein guter Rettungshund werden."
„Ich verstehe was von Hundeerziehung", sagte Jordan. Zum ersten Mal führten sie so etwas Ähnliches wie eine Unterhaltung, und er wollte diesen Moment weiter ausdehnen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. „Als Kind hatte ich auch einen Hund, und ich habe wochenlang trainiert, damit er ein guter Jagdhund wird."
„Sie jagen?"
„Nicht mehr", antwortete er. „Und Sie?"
„Nein, aber ich habe zwei ältere Brüder, die immer zur Jagd gegangen sind. Ich habe sie begleitet." Allerdings hatte es Emily nie Spaß gemacht, auf die Pirsch zu gehen und zu schießen. „Ich habe sie wieder zusammengeflickt, wenn sie sich den Knöchel verstaucht oder sich mit dem Jagdmesser verletzt hatten."
„Sie waren also schon als Kind eine gute Krankenschwester."
„Das kam ganz von alleine." Trotz ihrer Herkunft aus einer Familie von Kämpfern hatte sie nicht das Bedürfnis, zu töten. Sie führte die Familientradition des Heilens fort, so wie ihr Vater Mediziner geworden war, bevor er in Vietnam ums Leben kam.
Sie beobachtete Jordan, wie er in seinem Rucksack wühlte, das Walkie-Talkie herausholte und den Polizeifunk einstellte. Er streckte sich auf dem Felsen aus, starrte hinauf in die zitternden Espenblätter und lauschte konzentriert. Auch wenn sie seine Abneigung gegen die Berge als einen entscheidenden Charakterfehler betrachtete, so konnte sie dennoch nicht recht glauben, dass er ein Mörder sein sollte.
Nichtsdestotrotz nahm sie ein Taschentuch, riss ein kleines Stück davon ab und ließ es auf den Boden fallen. Die ganze Zeit schon hatte sie kleine Hinweise hinterlassen, die Jordan bei dem anstrengenden Marsch nicht bemerkt hatte.
„Ich würde Sie gerne etwas fragen", sagte sie. „Wenn Sie die Berge so sehr hassen, wie kommt es, dass Sie eine Frau aus Aspen geheiratet haben?"
„Wir lernten uns kennen, als sie Urlaub auf den Florida Keys machte. Alles ging rasend schnell, und wir waren verheiratet, bevor wir merkten, dass wir überhaupt nichts gemeinsam hatten."
„Gegensätze ziehen sich an", sagte Emily.
„Am Anfang vielleicht. Unsere Ehe dauerte zwei Jahre, und davon haben wir vermutlich nur zwei Monate in ein und demselben Haus gelebt."
„In der Zeitung stand, dass Sie sich von ihr scheiden lassen wollten."
„Das war der Grund, warum ich nach Aspen gekommen bin", bestätigte er.
Es kam ihr komisch vor, dass er so ruhig darüber sprechen konnte. In den Zeitungsartikeln war behauptet worden, dass Jordan seine Frau aus Leidenschaft getötet hatte. „Haben Sie sie noch geliebt?"
„Nicht geliebt.
Weitere Kostenlose Bücher