Flucht über den Himalaya
wie sich der Dalai Lama freuen wird! Ich habe ihm nämlich gesagt, daß du kommst. ›Pema heißt sie?‹ hat der Dalai Lama gesagt. ›Was für ein schöner Name, meine kleine Schwester heißt auch Pema, Jetsun Pema!‹ …«
»Los, schließt an!« Suja treibt die Gruppe von der Straße. Ratlos wendet sich Dhamchoe an ihn: »Ich glaube, ich habe meinen …«
»Nimm deinen Bruder und geh!« herrscht Suja ihn an. Auf einer Flucht ist es gefährlich, den Anschluß zu verlieren. Und die Flucht hat begonnen. Jetzt.
Mit seiner rechten Hand greift Suja nach Chime. Mit seiner linken nach Dolker. Er schaut ihrer Mutter direkt ins Gesicht. »Keine Sorge. Ich bringe deine Kinder da rüber.« Dann dreht er sich um und geht mit den beiden Mädchen als Schlußlicht davon.
Chime dreht sich nach ihrer Ama um. Die lächelt ihr aufmunternd zu. Dolker muß sich auf den Weg konzentrieren. Sie hat Mühe, mit den großen Schritten des fremden Mannes mitzuhalten. Querfeldein geht es über ein großes Gerstenfeld. Es ist die Zeit, in der die Bauern ihre Erde frisch umgraben für die neue Saat. Die Flüchtlinge stolpern über die tiefen Furchen.
»Hast du gewußt, daß der Dalai Lama am liebsten süße Momos ißt?« fragt Nima, während er wachsam den Weg im Auge behält. »Ja, süße Momos! Die gibt es nur in Indien.
Und grüne Zuckernudeln! Vielleicht trinkt ihr zusammen eine Tasse Tee mit grünen Zuckernudeln!«
»Was soll ich tun?« fragt Dhamchoe einen jungen Mann, der hinter ihnen geht. »Ich habe meinen Rucksack in Gyantse vergessen.«
»Was war da drin?«
»Mein Proviant, mein Geld, die Handschuhe, alles.«
»O shit.«
Chime dreht sich nach ihrer Mutter um. Sie kann ihr Lächeln nicht mehr sehen. Nur die dunkle Silhouette ihres Körpers. Die Mutter winkt, als Chime sich nach ihr umsieht. In ihrem Innern tobt ein nicht faßbarer Schmerz.
»Om mani padme hum, om mani padme hum …«, flüstert Little Pemas Mutter in die Nacht, die eben ihr Kind verschluckt hat. Wenn das Herz aus deiner Brust zu springen droht, bring es mit einem Gebet zur Ruhe. Diesen Rat hat ihr der alte Vater gegeben, bevor sie nach Lhasa aufgebrochen sind.
»Weißt du, warum der Dalai Lama die Khampa so gerne mag? Nein? Als der Dalai Lama nach Indien geflüchtet ist, haben ihn Hunderte Khampa begleitet! Und sie alle waren bereit, ihn mit ihrem eigenen Leben zu schützen.«
»Ohne Rucksack bist du aufgeschmissen. An deiner Stelle würde ich nach Gyantse zurückfahren«, sagt der Typ hinter ihnen.
»Kannst du sehen, ob der Lastwagen noch da ist?« hört Dhondup den großen Bruder fragen.
»Wir müssen los!« sagt der Fahrer und öffnet die Beifahrertür des LKW.
Little Pemas Mutter hilft der gebrochenen Frau an ihrer Seite auf das hohe Trittbrett.
Von der Landstraße ist das Starten eines Motors zu hören.
Noch einmal dreht sich Chime nach ihrer Mutter um.
Teil Zwei
» Ich habe mein Kind nach Indien geschickt, weil … ich habe keine Ausbildung. Und es ist schwer, ein normales Leben zu führen, ohne lesen und schreiben zu können. Überall hat man Probleme. Als einfache Frau hatte ich auch nicht das Geld, um die Schule für mein Kind zu bezahlen. Das ist der Grund, warum ich es weggeschickt habe. Nachdem es weg war – alles, was ich machen konnte, war sein Bild anschauen und weinen. «
EINE MUTTER AUS TIBET
Nepal, 6. April 2000
»Am Fünfzehnten ist Nima auf dem Grenzpaß«, sagte Pema, als wir nach unserer erfolgreichen Shoppingtour durch den Thamel unser Equipment auf dem schmalen Bett meiner Herberge auftürmten.
»April?«
»Ja.«
»Das ist knapp. Der Kameramann und mein Freund kommen erst am Elften in Kathmandu an.«
»Dann sollen sie halt früher fliegen.«
»Das ist ein Billigflug. Den kann man nicht mehr umbuchen. Und für neue Tickets gibt es kein Geld mehr.«
»Ich dachte, Filmleute sind reich.«
»Weiß Nima, daß wir ihn da oben mit Kameras erwarten?«
»Nein. Aber ich habe ihm gesagt, daß wir Essen hochbringen. Und Medikamente. Dann braucht die Gruppe nicht so viel zu schleppen.«
»Laß uns das sofort machen. Noch bevor die anderen aus Deutschland kommen. Wir tragen das Zeug rauf, und dann gehe ich noch mal runter, um Richy und Jörg abzuholen. Sonst haben wir hinterher zuviel Gepäck.«
»Wir sollten in ein Kloster gehen und die Mönche bitten, für uns und die Flüchtlinge zu beten. Hast du noch Geld für eine Gebetszeremonie?«
»Wie teuer ist so was?«
»Je weniger Mönche, desto billiger. Je mehr Mönche,
Weitere Kostenlose Bücher