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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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dessen Rand eine abenteuerliche Flugpiste liegt, deren Anblick durch kein Antiflugangst-Seminar der Welt schönzureden wäre: eine für mein subjektives Empfinden viel zu kurze Schotterpiste, an deren Ende sich ein Berghang befindet, in den man bei einer Landung mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit hineinrasen muß. Doch auch der Start wird meine Nerven blank legen, denn nach der witzhaft kurzen Anlaufstrecke bricht die Piste einfach ab und man stürzt in einen grauenhaften Abgrund – außer dem Piloten gelingt es, die Maschine über die Abrißkante hinweg in den Himmel hochzuheben.
    Per Funktelefon ist es uns gelungen, eine ganze Propellermaschine für unsere ›Reisegruppe‹ zu chartern. Daß der Flieger über genau fünfzehn Sitzplätze für vierzehn Fluggäste plus einen Bordsteward verfügen würde, jagte mir einen angenehmen Schauer über den Rücken.
    Mit Lhakpa sind wir nun genau vierzehn Personen.
    An den Gebetsmühlen des Dorfeinganges erwarten uns Tamding und Chime. Als es dunkel wurde, hatte Nima ihnen aufgetragen, Ausschau nach uns zu halten. Die Kinder führen uns in eine kleine Herberge, in der die Flüchtlinge Unterschlupf finden konnten. Chime ist aufgeregt, sie hat mir etwas Wichtiges zu sagen. Dhondup soll den ganzen Abstieg über geweint haben – warum, verstehe ich nicht.
    »Wegen dir«, übersetzt Pema. »Nachdem wir uns getrennt haben, dachte er, daß du nie mehr wieder zu ihnen zurückkommen würdest.«
    Wir betreten den Gastraum und werden mit großem Hallo von allen Männern und Kindern begrüßt. Nur Dhondup versteckt sich schnell unter dem Tisch, als er mich sieht. Ich schlüpfe ihm hinterher und nehme ihn in die Arme. Hier kann es ja keiner sehen, daß so ein ›großer, starker‹ Junge auch mal dringend liebkost werden muß. Endlich bekommt er, was sich Little Pema schon seit Tagen bei mir abgeholt hat: ganz viel Zuwendung.
    Als uns der Wirt das Abendessen bringt, schauen die Kinder enttäuscht auf ihre Teller. Aber sie sind viel zu höflich, um sich zu beschweren. Ich habe halbe Kinderportionen für sie bestellt, weil das so üblich ist in Deutschland.
    »Ich glaube, sie brauchen mindestens drei Doppelportionen«, meint Pema vorsichtig.
    Der Wirt bringt schnell Nachschub, und was die Kleinen vertilgen, ist wirklich enorm.
    Nur Lhakpa rührt ihren Teller nicht an. Den ganzen Tag über hat sie schon nichts gegessen und auch kein Wort mit uns gesprochen. Wir Erwachsenen sind alle etwas ratlos.
    Nachdem sie fertig gegessen haben, nimmt Chime das gleichaltrige Mädchen einfach an der Hand und zieht es mit sich in den Keller, wo für die Kinder ein Matratzenlager bereitet ist.
    Ich muß Dhondup versprechen, noch zu einem Gutenachtkuß zu kommen. Doch als ich wenig später an ihr Lager trete, sind die Kinder bereits eingeschlafen. Nur Chime und Lhakpa tuscheln eifrig unter ihrer Decke. Sie bemerken mich gar nicht. Für einen kurzen Moment stelle ich mir vor, daß diese sechs alle meine Kinder sind.
    »Gute Nacht«, flüstere ich und schließe leise die Tür.
    Daß sich am Morgen der Nebel nicht aus den Tälern heben will, macht uns nervös: Werden die kleinen Propellerflieger überhaupt starten können? Jeden Tag bringen sie aus Kathmandu Nachschub an Bergsteigern hier hoch und holen jene ab, die um einen Gipfel reicher sind. Eventuell ist das ungünstige Flugwetter auch unser Glück. Denn als wir mit möglichst harmlosen Gesichtern zur Flugpiste schlendern, herrscht dort ein reges Chaos. Lauter aufgebrachte Touristen, die um ihren Rückflug bangen. Sie belästigen das überforderte Bodenpersonal mit ihren Fragen, Sonderwünschen und Klagen. In diesem unüberschaubaren Gewusel an bunten Goretex-Jacken, Fleecepullovern und ärmlich gekleideten Sherpa, die geduldig auf neue Kundschaft warten, fallen wir gar nicht auf. Trotzdem zittern meine Hände, als ich dem überforderten Nepalesen am Schalter unsere Flugtickets zum Einchecken überreiche. Ohne richtig aufzusehen, winkt er meine ›Reisegruppe‹ durch. Auf dem abgewetzten Laufband des Bretterverschlages, der sich ›Abfertigungshalle‹ nennt, wirkt das Gepäck der Flüchtlinge neben den teuren Markenrucksäcken der westlichen Bergsteiger zwar etwas armselig, doch keiner kommt auf die Idee, daß es sich um die Habe von illegalen Grenzgängern handelt. Die Möglichkeit für einen tibetischen Flüchtling, einen teuren Flugplatz zu bezahlen, ist einfach zu abwegig. Auch durch die Leibesvisitation kommen wir ohne Probleme. Nur Suja muß

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