Flucht vor den Desperados

sein beängstigendes Jagdmesser hervor & schnitt sich ein frisches Stück Tabak ab. »Wenn Sie falschspielen, schnitz ich Sie mir auf Zahnstochergröße zurecht.«
    »Ich spiele nie falsch«, sagte Jace in freundlichem Tonfall. »Ich bin dafür bekannt, zu bluffen, wenn sich die Gelegenheit ergibt, aber ich spiele nie falsch.«
    Walt zog die Nase hoch und steckte sein großes Messer in sein Halfter.
    Der Mann von der Wells Fargo Bank kicherte. Es überraschte mich, dass er als guter Bürger nicht versuchte, Walt verhaften zu lassen, schließlich hing ein WANTE D-Plakat neben einer der Tafeln hinter der Bar. Ich suchte Sam Clemens & Joe Goodman mit meinem Blick. Aber die Ecke, in der sie die ganze Nacht gestanden hatten, war jetzt leer.
    Jace teilte einige Hände aus, und ich beobachtete Walt genau. Das Erste, was mir an ihm auffiel, war, dass er Linkshänder war. Zweitens, dass seine Füße ebenso viel verrieten wie die aller anderen. Das Dritte war, dass er, wann immer er nervös wurde oder bluffte, ganz still dasaß & aufhörte, seinen Tabak zu kauen. Einmal war ich mir ziemlich sicher, dass er geschluckt hatte, als er eigentlich spucken wollte.
    Sie hatten ein paar Partien gespielt, & Jace teilte gerade Karten aus, als es passierte.
    Jace fragte: »Was führt Sie nach Virginia, Walt?«
    Drüben in der Ecke spielte das Akkordeon »Alice WhereArt Thou?«, allerdings nicht sehr laut. Ich konnte also verstehen, was sie sagten.
    Walt wandte den Kopf, beförderte etwas Tabaksaft in den Spucknapf & antwortete: »Ich suche nach einem Kind mit dem Namen Pinkerton. Hat es einer von euch gesehen?«
    Ich dachte, mir bliebe das Herz stehen.
    Jace setzte einen Silberdollar. »Der Grundeinsatz«, sagte er, während er ein letztes Mal mischte. Jeder setzte eine Münze.
    »Allan Pinkerton«, sagte der Spekulant mit dem Beifußbart, während er die Karten fallen sah. »Ich hasse diesen Hurensohn.«
    »Wieso das?«, fragte Jace.
    »Der verkauft sich schneller an die Unionsgeneräle als eine von Hookers Hurdy Girls.«
    »Also ich für meinen Teil bin doch sehr froh, dass es die Pinkertons gibt«, sagte der Wells-Fargo-Mann, während er seine Karten musterte. »Immerhin haben ihre Postkutschen-Detektive bei uns die Raubüberfälle um die Hälfte verringert.«
    »Ich habe gehört, er soll einen Bruder gehabt haben«, sagte Jace und legte das Deck ab, um seine eigenen Karten unter die Lupe zu nehmen. »Namens Robert.«
    »Yeah«, sagte der Spekulant. »Dieser Robert Pinkerton raubt mir noch den letzten Nerv.«
    »Sie kannten ihn?«, fragte Jace.
    »Sie reden, als wäre Robert Pinkerton tot«, sagte der Spekulant und sortierte seine Karten um.
    »Ist er das nicht?«, fragte Jace.
    »Nicht, wenn er sich nicht in den letzten zwei Monaten hat umbringen lassen«, sagte der Spekulant.
    Ich war so verblüfft über diese Aussage, dass ich auf die Füße sprang. Es konnte doch nicht möglich sein, dass mein echter Pa am Leben war?

KONTOBUCHBLATT 39

    Es war unglaublich, was ich gerade in Almack’s Austern& Spirituosen-Saloon gehört hatte.
    Der Spekulant mit dem Beifußbart behauptete, meinen Vater erst vor zwei Monaten gesehen zu haben. Zum Glück nahm nur Jace Notiz von meiner Reaktion. Er machte eine kleine Beschwichtigungsgeste mit der Hand, und ich wusste, das sollte »Setz dich hin« bedeuten.
    Ich setzte mich hin.
    Der Spekulant mit dem Beifußbart schleuderte zwei goldene Zwanzig-Dollar-Münzen mitten auf den Tisch, und alle starrten einen Moment lang darauf.
    Der Mann von der Wells Fargo Bank pfiff. »Das ist ein Batzen«, sagte er.
    »Mein letztes Spiel für heute«, sagte der Spekulant.
    Die anderen drei Spieler legten jeweils zwei Goldmünzen hinzu.
    Der Spekulant legte zwei Karten mit dem Gesicht nach unten auf den grünen Tisch & schob sie von sich weg. »Zwei Karten«, sagte er.
    Jace gab ihm zwei.
    Der Wells-Fargo-Mann legte drei Karten ab. »Drei«, sagte er.
    Jace gab ihm drei.
    Walt schmiss zwei Karten dazu.
    Jace gab ihm zwei.
    Walt lehnte sich vor & sagte: »Ich weiß mit Sicherheit, dass Robert Pinkerton gesund und munter ist und in Chicago lebt. Aber nicht für ihn interessiere ich mich. Es ist das Kind. Es hat etwas, das mir gehört.«
    Jace legte eine Karte ab & teilte sich selbst eine neue aus.
    »Geht es um das Kind, das seine Pflegeeltern ausgeraubt & umgebracht hat?«, fragte der Spekulant, während er drei Goldmünzen auf den Tisch legte.
    Meine Hände zitterten und ließen meine Tasse klappern. Ich umklammerte