Fluchtpunkt Aqualung
auf Seitenpfade, die zu differenzierten Informationen über Waller Roschen führten: zu medizinischen Befunden, Orden, Qualifikationen, Einsatzorten, zweiten, dritten und vierten Lebensläufen und unterschiedlichen Updates seiner I-Ziffer.
Die insgesamt sieben Versionen des Implantats unterschieden sich nur im Geburtsdatum und der darauf aufbauenden Chronologie. Die Erstellung der jeweiligen Version war gewissenhaft datiert, so daß Heinrich ohne weiteres nachvollziehen konnte, daß ein neues Update immer kurz vor Roschens siebzigstem Geburtstag entstanden sein mußte; also kurz bevor er gemäß den Gesetzen der Republik mit einer Einladung zum Sterben hätte rechnen müssen.
Wollte man dem Dossier Glauben schenken, engagierte ihn zwei Jahre nach der Behandlung auf Terra Prima die GGS als Spezialagent. Bis auf Torso und Gehirn bestand er zu dieser Zeit nur noch aus Prothesen. Wie lange er schon auf der LAURIN diente, ging aus dem Dossier nicht hervor. Es enthielt auch kein Foto des Mannes. Dafür vermerkte es seine Mitgliedschaft bei einem Geheimorden, dessen Mitglieder sich Brüder von Eternalux nannten.
Und Anna-Luna Ferròn? Ihr Geburtsdatum wurde nicht genannt, genausowenig ihr Heimatplanet.
Ihre Biographie war nur skizziert: Auf einer Venuskolonie aufgewachsen, Ausbildung auf Terra Tertia, in den Dreißigerjahren Adjutantin eines Generals, danach vier Jahre in der Zentralverwaltung auf Terra Sekunda, anschließend Oberst bei der Flotte. Als Primoberst leitete sie eine Expedition zum Kugelsternhaufen NGC 5897.
Heinrich stutzte. Schon wieder diese kleine Galaxis? Wollte man dem Dossier glauben, war die Ferròn Anfang der Vierzigerjahre dort gewesen. Fünfzig Jahre später als Roschen also. Wie paßte das alles zusammen? Mitte der Vierziger stieß sie unter nicht dokumentierten Umständen zur GGS, wo sie rasch zur Spitze aufstieg. Seit 2551 war sie Generalin der GGS. Seitdem operierte sie von der LAURIN aus.
Heinrich fügte die Datensätze seinem jederzeit verfügbaren Informationspool zu. Sicher hatte er da und dort von der GGS und ihren Aktivitäten gehört. Zum erstenmal aber war er nun selbst mit dem Geheimdienst der Republik konfrontiert worden. Und seltsam: Die Dossiers erschienen ihm eigenartig vertraut. Es kam ihm vor, als hätten sie mit seiner eigenen Geschichte zu tun, mit den Teilen seiner Zentraldatei, die einst jemand gelöscht hatte, an den er sich nicht erinnern konnte.
Er würde darüber nachdenken. Später. Jetzt standen wichtigere Dinge im Vordergrund. Er lauschte ins Bordhirn hinein. Sein Piratenprogramm meldete Bereitschaft. Es hatte die Navigation unter seine Kontrolle gebracht. Sehr gut! Heinrich gab die Koordinaten ein, die er mit dem nächsten Sprung erreichen wollte. Es würde ein paar Stunden dauern, bis das Triebwerk bis zu dem notwendigen Energieniveau hochgefahren war, das ein solch weiter Sprung erforderte. Zeit genug also für die eigentlichen Angriffsvorbereitungen.
Er peilte die drei Wartungsroboter an. Noch immer arbeiteten sie sechs Meter entfernt und eine Ebene über ihm an der Triebwerkselektronik und dem Druckkammerreaktor. Er tastete nach ihrem EMC-Muster und nahm Kontakt mit ihnen auf. Als sie sich identifizierten, befahl er ihnen, zu seinem Versteck zu kommen …
*
»Nicht …!« So schnell er konnte, balancierte Yaku über einen beindicken, waagerechten Ast. »Bitte tut es nicht …!« Im Geäst über seinem Kopf hielt er sich fest. Sie schleppten einen der vier gefesselten Männer vor ihren Anführer. Der Nackte brüllte und strampelte.
In der Baumkrone darüber huschten unzählige Kalosaren von Ast zu Ast. Mit Tüchern, Fellen, Lederfetzen und sogar mit ihren eigenen Körpern versuchten sie das Feuer zu löschen. Andere schlugen mit schweren Klingen die brennenden Äste ab, damit sie aus der Baumkrone ins Schilf fielen, bevor sich benachbarte Äste an ihnen entzünden konnten.
Yaku holte Venus und ihren Bruder ein. »Da siehst du, was du angerichtet hast!« fauchte er Plutejo an. Er drückte Venus seine Waffe in die Hand und kletterte weiter Richtung Ufer.
»Das hätten sie früher oder später sowieso getan«, sagte Plutejo kleinlaut.
»Halt deinen Grünschnabel …!« Yaku machte sich klar, daß er den Lingusimultaner seines Überlebenssystems noch nicht aktiviert hatte. Er holte es nach und lud die Standardsprachen von Aqualung. Wenn diese Wilden nicht zufällig ein Idiom benutzten, das den fünf Hauptsprachen des Planeten zumindest ähnelte,
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