Fluchtpunkt Mosel
stillschweigend aufgehoben worden.
Nachdem Grabbe während der Feier als Einziger der Abteilung nüchtern geblieben war und, so weit möglich, versucht hatte, an dem Fall zu arbeiten, hatte er es sich gegönnt, etwas länger zu schlafen und erst kurz nach acht Uhr im Büro zu erscheinen.
Nach kurzem Lüften schloss Grabbe das Fenster. Zum einen war es wieder deutlich kälter geworden, zum anderen deutete ein leichtes Kratzen in seinem Hals eine heraufziehende Erkältung an. Er hatte sich zum Frühstück eine Zitrone ausgepresst, das hatte schon mal geholfen.
Das erste Telefongespräch führte er mit der Dauner Polizei. Polizeiobermeister Schäfer berichtete, dass es in der Nacht keine Auffälligkeiten auf und in der Nähe des Grundstücks gegeben habe.
Grabbe hatte gerade aufgelegt, als Gabi mit Sonnenbrille ins Büro stöckelte. Im Vorbeigehen ließ sie ihre Tasche auf den Schreibtisch fallen und riss ein Fenster sperrangelweit auf.
»Ich hab schon gelüftet«, sagte Grabbe.
»Mensch, ist hier eine Luft drin!«, stöhnte sie.
»Wer hat denn gestern hier geraucht?«, protestierte Grabbe.
»Na und? Mir ist schlecht.« Gabi behielt ihre Jacke an und ließ sich auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch sinken.
»Wo ist das Bonbonpapier?« Grabbe suchte zwischen den Papieren, die ordentlich wie immer links und rechts vom Rechner lagen. Nichts zu finden!
»Hast du die Folien zur KTU gegeben?«, fragte er.
»Welche Folien?« Gabi hatte eine Tablettenschachtel aus ihrer Tasche gezogen.
»Die Verpackung von den Bonbons.« Grabbe öffnete nacheinander sämtliche Schubladen seines Schreibtischs.
Gabi schüttelte den Kopf. »Kannst du so lieb sein und mir einen Kaffee holen?«
Grabbe überhörte ihre Bitte. Er rief bei der Kriminaltechnik an, vielleicht hatte Walde den Kram dorthin weitergeleitet. In der Technik wusste man nichts von Bonbonpapierchen. Sattler war bereits nach Steineberg unterwegs.
Grabbe hob den Papierkorb vom Fußboden hoch und schaute ratlos hinein. »Mist, der ist leer.«
»Was denkst du denn, wie es hier aussehen würde, wenn gestern Abend nicht sauber gemacht worden wäre«, sagte Gabi.
»Aber das waren Beweismittel. Wir sind hier bei der Kripo. Die können doch nicht einfach …«
»Sie haben es sicher nur gut gemeint«, sagte Gabi.
»Was so viel wie das Gegenteil von gut gemacht bedeutet.« Grabbe stand auf und knallte das Fenster zu, wobei Gabi zusammenzuckte.
»Komisch, erst verschwindet das Papier aus dem Handschuhfach, dann von meinem Schreibtisch …« Grabbe war am Fenster stehen geblieben und sah hoch zu dem trüben Himmel.
»Gestern wurde hier in den meisten Büros gefeiert, und da ist wohl auf so manchem Schreibtisch was stehen geblieben … und die gute Putzfrau dachte, es handele sich bei deinen wichtigen Beweismitteln ebenfalls um Abfälle.«
»So ein Mist!«, fluchte Grabbe.
»Was willst du eigentlich mit den blöden Papierchen? Diese Bonbons findest du an der Kasse von jedem Supermarkt und jeder Tankstelle.«
»Ich muss nachdenken.« Grabbe ging zur Tür.
»Bring mir bitte einen Kaffee mit«, rief sie ihm nach.
Kaum hatte Walde im Büro den Rechner hochgefahren, klingelte sein Telefon. Ein Mann namens Jungberg wollte ihn sprechen, erfuhr er von der Zentrale, er habe schon mehrmals angerufen.
»Hallo, Herr Jungberg«, sagte Walde.
»Ich möchte noch was zu dem ergänzen, was ich Ihnen gestern in der Firma über meinen Exkollegen Aloys Theis erzählt habe … von damals, in Erfurt, ob er pünktlich zur Arbeit erschienen ist«, eröffnete Jungberg das Gespräch.
»Ja?« Walde rief während des Telefonats auf seinem Rechner die Mails ab.
»Ich hab damals nichts Falsches gesagt.« Jungberg machte eine Pause. Walde hörte ihn schwer atmen. »Also damals, ich wollte dem Ali Theis helfen, und jetzt, wo er tot ist, wollen Sie herauskriegen, wer ihn umgebracht hat.«
»Mhm.« Es klopfte an Waldes Bürotür.
»Und das will ich ja auch, dass Sie den Mörder kriegen.«
»Ja?« Grabbe kam herein.
»Also der Ali kam an dem besagten Tag tatsächlich pünktlich um sieben zur Arbeit«, fuhr der Anrufer fort. »Aber er sah ziemlich fertig aus und hat sich schnell wieder verkrümelt.«
»Wohin?«
»Ich glaube, der hat sich hingehauen. Jedenfalls ist er erst am Nachmittag wieder auf der Baustelle aufgetaucht. Ich bin damals von der Polizei nur danach gefragt worden, wann der Ali zur Arbeit gekommen ist. Keiner wollte wissen, wann er wieder gegangen ist.«
»Verstehe.«
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