Fluchtpunkt Mosel
Seine Stimme klang zaghaft.
Gabi schüttelte den Kopf. »Wir können Sie vorerst nicht gehen lassen.«
»Was muss ich machen, um nicht noch mal da unten in dieses Loch zu müssen?«
»Packen Sie endlich aus! Was haben Sie mit Aloys Theis am Telefon besprochen?«
»Das grenzt schon an Erpressung.«
»Sagen Sie es!«, herrschte Gabi ihn an.
Als Frohnen daraufhin stumm die Tischplatte anstarrte, gab Walde seiner Kollegin mit einem Blick zur Türe zu verstehen, dass er draußen mit ihr sprechen wollte.
»Lassen wir ihn laufen? Was meinst du?«, fragte Walde, als sie sich im Flur ein paar Schritte von der Tür entfernt hatten.
»Aus dem ist noch mehr herauszuholen«, beharrte Gabi.
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Wir sperren ihn in den Keller, und morgen frisst er uns aus der Hand.«
»Du weißt, dass er unter Platzangst leidet.« Walde schaute auf seine Uhr. »Der geht uns nicht durch die Lappen, wo will er schon hin?«
»Es gibt eine Menge Orte, die schöner sind als der Knast«, sagte Gabi und schaute nun ebenfalls auf ihre Uhr. »Okay, auf deine Verantwortung! Lassen wir Frohnen gehen und machen Schluss für heute. Ich will auch noch was vom Karneval haben.«
Nachdem seine Kollegen gegangen waren, setzte sich Walde an den Schreibtisch und sah die Akten durch. Vor dem Fenster war der Turm der Pauluskirche nur noch schemenhaft zu erkennen. Die Beleuchtung war schon abgeschaltet.
Er stützte die Ellenbogen auf und witterte, als er sich den Zeigefinger seiner rechten Hand auf die Oberlippe legte, den Duft von Doris’ Parfüm. Er schloss die Augen, atmete tief ein und fühlte den Schauer bis hinauf in die Haarspitzen.
Walde griff zum Telefon. »Ist Jo noch da?«
»Nein«, antwortete Doris. »Warum?«
»Nichts, ich frag nur.«
»Wolltest du was von ihm wissen?«
»Nein, im Gegenteil, ich möchte mit dir allein sein.« Er schnupperte wieder an seinen Fingerspitzen.
»Wir sind allein. Du im Büro und ich zu Hause.«
Walde atmete hörbar durch die Nase ein.
»Was schnaufst du denn so?«, fragte sie.
»Ich habe nur geschnuppert.«
»Woran?«
»Dein Parfüm an meinen Fingerspitzen.«
»Höre ich da was raus?«
Walde sah auf den Bericht des Pathologen vor sich auf dem Tisch, ein undefinierbares Bild schien etwas Unappetitliches darzustellen. Er schloss die Augen und drehte das Blatt um. »Keine Ahnung. Musst du so spät noch arbeiten?«
»Das fragst du mich, vom Präsidium aus?«
»Entschuldige, ich komme nach Hause.«
»Sollen wir was essen? Wir haben Salat, Tomaten, Zucchini …«
»Mein Appetit ist ziemlich speziell und auch nicht vegetarisch …«
»Wir haben noch Steaks in der Kühltruhe.«
Walde schnupperte wieder an seinen Händen. »Mir ist mehr nach lebendigem Fleisch.«
In der Wohnung brannte kein Licht mehr. Walde hatte sich beeilt. Seit dem Telefonat mit Doris war kaum eine halbe Stunde vergangen. Hatte sie nicht mehr auf ihn gewartet?
Er hörte leise Musik und wusste nicht, woher sie kam. Ob es in der Nachbarschaft eine Party gab? Er lauschte an den Türen und lokalisierte die Musik im Schlafzimmer.
Als er ins Bett schlüpfte, schob er das Kissen unter den Kopf und hielt einen Moment inne. Es dauerte, bis sich sein Atem beruhigt hatte. Sanglaser sang leise ›I don’t know what comes over me, but when you kiss me I cannot breath‹.
Durch das Fenster drang das schwache Licht einer über die hohe Gartenmauer scheinenden Straßenlaterne. Neben ihm zeichnete sich unter der Bettdecke Doris’ Körper ab. Walde lauschte, konnte aber ihren Atem nicht hören. Vorsichtig hob er die Decke ein wenig an. Ihr Duft ließ ihn die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, sah er ihren nackten Rücken.
»Mein Kontrabass«, flüsterte er und spürte, wie sein Kuss zwischen ihre Schulterblätter sie erschauern ließ. »Magst du Streichen oder Zupfen?«
Ihr Körper rückte ihm entgegen, während seine Hand über ihren Bauch glitt.
Samstag, 25. Februar
Walde wusste nicht, wovon er aufgewacht war. Er fühlte sich noch nicht ausgeschlafen. Hatte ihn ein Geräusch in der Wohnung geweckt? War es Quintus im Garten gewesen? Draußen war es noch dunkel. Eine Zeit lang lag er mit geschlossenen Augen da, hörte Doris neben sich atmen und ab und zu ferne Motorengeräusche von der Straße. Er schaute auf den Wecker: kurz vor fünf. Annika war noch nicht zu ihnen ins Bett gekommen. Seine Gedanken drifteten ins Irreale, er schlief wieder ein.
Der Wecker hatte um sieben Uhr nur einmal
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