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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Die Tür ließ sich mit keinem der Schlüssel öffnen.
    Also nahm ich das Brecheisen zu Hilfe. Das Schloß war ziemlich massiv und gab erst nach, als die Tür splitterte. Jeder, der draußen vorbeiging, mußte den Schaden auf den ersten Blick sehen. Ich schlich hinein, bis aufs äußerste angespannt.
    Alles war wie bei meinem ersten Besuch. Eine Zelle, genau wie die anderen, nur daß hier zusätzlich ein kleiner Bücherschrank stand. Die Decke niedrig, der Raum kühl. Die Wände und der Boden nackter Stein.
    An der einen Wand ein hartes, schmales Bett, bedeckt mit einer rauhen, graufarbenen Decke.
    Das bescheidene Domizil eines Mannes, der die Freuden des Fleisches zugunsten derer des Geistes aufgegeben hatte. Ein Asket. Und verlogen bis ins Mark.
    Denn bei diesem Mann konnte von geistigen Interessen keine Rede sein. Noch vor Minuten hatte ich beobachtet, wie er eine Kirche entweihte, trunken vor Macht und eiskalt wie Luzifer. Die Bücher auf den Regalen schienen meinen Blick zu erwidern. Es war, als ob sie spöttisch grinsten. All die ehrenwerten Schwarten über Religion, Philosophie, Ethik und Moral…
    Schon einmal an diesem Abend hatten Bücher ein Geheimnis enthüllt. Vielleicht waren sie ein zweites Mal dazu imstande.
    Ich räumte die Regale aus und überprüfte jeden einzelnen Band, schüttelte ihn, suchte nach falschen Rücken, ausgehöhlten Seiten, nach handschriftlichen Hinweisen an den Rändern.
    Nichts. Die Bücher waren jungfräulich, die Einbände steif, die Seiten frisch und unberührt.
    Kein einziges Buch war jemals gelesen worden.
    Der leere Bücherschrank begann zu schwanken. Ich hielt ihn, bevor er umkippte. Und dabei fiel mir etwas auf.
    Der Teil des Bodens, auf dem der Bücherschrank stand, war deutlich mit einer rechteckigen Fuge markiert; die Fliesen waren hier eine Spur heller als die anderen.
    Ich schob den Bücherschrank zur Seite, kniete mich hin, leuchtete mit der Taschenlampe auf die Stelle am Boden und ließ die Finger über die Fuge gleiten. Ein Ausschnitt im Steinboden. Ich drückte dagegen. Die Platte bewegte sich ein wenig.
    Ich brauchte eine Weile, bis ich den richtigen Ansatzpunkt fand. Dann trat ich auf eine Ecke des Rechtecks, und die Platte bewegte sich, so daß ich die Brechstange in die breiter gewordene Ritze schieben konnte.
    Nun drückte ich dagegen, die Platte hob sich, und ich stieß sie zur Seite. Das Loch war etwa dreißig mal vierzig Zentimeter groß, einen Meter tief und mit Beton ausgekleidet. Zu klein, um eine Leiche zu verstecken.
    Aber groß genug für andere Dinge.
    Ich fand Plastiksäckchen, die mit schokoladenfarbenem und cremeweißem Pulver gefüllt waren: schneeiges Kokain und eine bräunliche Substanz, die ich als mexikanisches Heroin identifizierte.
    Eine Dose aus Metall, voll mit klebrigem, dunklem Harz - Rohopium. Mehrere Pfund Haschisch in folienverpackten Behältern von der Größe einer Badeseife.
    Und ganz unten ein Aktenordner.
    Ich las darin und steckte ihn dann unter mein Hemd. Inzwischen hatte ich mehr Fracht bei mir als der Southern Pacific. Ich knipste die Taschenlampe aus und lugte hinaus auf beide Seiten des Korridors.
    Hörte Stimmen. Am Ende des Korridors war eine Tür, die ins Freie führte. Ich rannte darauf zu, so schnell ich konnte, und hechtete nach draußen mit schmerzenden Lungen.
    Jetzt strömten die Sektenmitglieder aus der Sakristei, die meisten von ihnen immer noch nackt. Ich gelangte bis zum Brunnen, ohne gesehen zu werden, und versteckte mich unter einer der großen Eichen. Matthias kam heraus, umgeben von Frauen. Eine wischte ihm die Stirn. Eine andere - Maria, die großmutterhafte Frau, die am Tag meines ersten Besuchs vor der Tür in der Empfangshalle gesessen hatte - massierte ihm den Nacken. Matthias, der all diese Liebesdienste nicht zu bemerken schien, führte die Gruppe zum Rasen und ließ sie dort niedersetzen. Fünf Dutzend Menschen gehorchten und fielen zusammen wie Blasebälge ohne Luft. Sie waren keine zehn Meter von mir entfernt. Matthias wandte den Blick zu den Sternen empor. Er murmelte etwas, schloß dann die Augen und begann wortlos zu singen und zu summen. Die anderen fielen ein. Es klang barbarisch und atonal, ein wilder Singsang, leidenschaftlich und heidnisch. Als er mehr und mehr anschwoll, rannte ich zum Viadukt und von dort direkt zum Tor.
    Graffius lag ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo ich ihn deponiert hatte, wand sich wie ein Wurm und versuchte sich zu befreien. Ich überzeugte mich davon,

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