Flüchtig!
sondern ein Hippie, der sehr viel Ausbildung hinter sich gebracht hat. Zuviel vielleicht.«
»Wie ist er denn mit den Swopes ausgekommen?« fragte ich.
»Wahrscheinlich zu gut. Mit der Mutter hat er es zumindest prima gekonnt, und seine Beziehung zum Vater war nicht schlechter als die von uns allen.« Er schaute in seine leere Kaffeetasse. »Würde mich nicht wundern, wenn er mit der Schwester des Patienten schlafen wollte - das Mädchen sieht gut aus. Aber das ist es nicht, was mir Sorgen macht.«
Er verengte die Augen.
»Ich glaube, Doktor August Valcroix hat tief in seinem Herzen einen weichen Punkt, was die Quacksalberei betrifft. Er hat bei Besprechungen nicht selten geäußert, daß wir toleranter sein sollten zu dem, was er alternative Gesundheitsfürsorge nennt. Er hat einige Zeit in einem Indianerreservat verbracht und war von den Medizinmännern beeindruckt. Wir diskutieren über das New England Journal, und er redet über Schamanen und Schlangenpulver. Es ist unglaublich.«
Er schnitt eine Grimasse des Abscheus.
»Als er mir sagte, die Eltern wollten den Jungen nicht mehr länger behandeln lassen, wurde ich das Gefühl nicht los, daß er sich insgeheim darüber freute.«
»Glaubst du wirklich, daß er dich sabotiert hat?«
»Du meinst, der Feind im eigenen Nest?« Er überlegte. »Nein, nicht mit Absicht. Ich glaube nur nicht, daß er den Behandlungsplan so unterstützt hat, wie er das hätte tun sollen. Verdammt, Alex, das ist kein abstraktes Gelehrtenseminar. Hier geht es um einen Jungen mit einer schlimmen Krankheit, die ich behandeln oder sogar heilen kann, und sie wollen diese Behandlung verhindern. Das ist - Mord!«
»Du könntest damit vor Gericht gehen«, schlug ich vor. Er nickte betrübt.
»Ich habe schon mit dem Justitiar der Klinik darüber gesprochen, und er meint, wir würden gewinnen. Aber es wäre ein Pyrrhussieg. Erinnerst du dich an den Fall Chad Green? Das Kind hatte Leukämie, und die Eltern holten es aus dem Kinderkrankenhaus und fuhren nach Mexiko, um dort Laetrile zu besorgen. Das Ganze wurde ein großer Medienzirkus. Die Eltern waren die Helden, die Ärzte und das Krankenhaus die heißhungrigen, bösen Wölfe. Schließlich, trotz aller Gerichtsbeschlüsse, erhielt der Junge keine sinnvolle Behandlung und starb.«
Er legte seine beiden Zeigefinger an die Stirn und preßte sie gegen die Schläfen. Unter den Fingerspitzen pochte der Puls. Raoul zuckte zusammen.
»Migräne?«
»Fängt gerade erst an. Ich werde schon fertig damit.« Er atmete tief ein. Der Bauch bewegte sich in Wellen.
»Ja, vielleicht muß ich gerichtlich gegen sie vorgehen. Aber ich möchte es vermeiden. Deshalb habe ich mich an dich gewandt, mein Freund.«
Er beugte sich vor und legte seine Hand auf die meine. Seine Haut war ungewöhnlich warm und ein klein wenig feucht.
»Rede mit ihnen, Alex. Wende jeden Trick an, den du im Ärmel hast.
Abneigung, Zuneigung, was auch immer. Versuche, ihnen die Konsequenzen dessen klarzumachen, was sie da tun.«
»Ein schwerer Auftrag.«
Er zog die Hand zurück und lächelte. »Andere haben wir hier nicht.«
4
Die Wände der Abteilung bedeckten sonnig-gelbe Tapeten mit tanzenden Teddybären und grinsenden Stoffpuppen, aber der Krankenhausgeruch, an den ich gewohnt war, als ich noch hier arbeitete - Desinfektionsmittel, Körperausdünstungen, welkende Blumen - stach mir jetzt in die Nase und machte mir klar, daß ich mittlerweile ein Fremder, ein Außenstehender geworden war. Obwohl ich tausendmal über diesen Korridor gegangen war, erfaßte mich jetzt jenes kalte Unbehagen, das Krankenhäuser bei ihren Besuchern stets hervorrufen.
Die Abteilung mit den Strömungskammern befand sich am östlichen Ende der Station, hinter einer grauen Tür ohne Fenster. Als wir uns näherten, ging die Tür auf, und eine junge Frau trat heraus auf den Gang. Sie zündete sich eine Zigarette an und wollte weggehen, aber Raoul sprach sie an. Sie blieb stehen, drehte sich um, knickte ein Knie ein und blieb in dieser Pose, wobei sie mit der einen Hand die Zigarette hielt, während sie die andere in die Hüfte stemmte.
»Nona Swope - die Schwester des Jungen«, flüsterte er.
Er hatte gesagt, daß sie gut aussah, doch das war eine Untertreibung. Das Mädchen sah hinreißend aus.
Sie war groß, knapp einsachtzig, mit einem Körper, der sowohl weiblich als auch knabenhaft wirkte. Ihre Beine waren lang und sehnig wie die eines Fohlens, ihre Brüste hoch angesetzt und klein. Sie hatte
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