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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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war.
Lass es nicht zu.
    Und Talanna war da, kauerte vor ihm. Dem Tod nahe und ohne ihre Magie war sie eine fahle Gestalt ohne Gesicht. Ihre Umrisse formten sich aus der Luft, aus dem verdorrten Boden und dem Gras. Sie warf keinen Schatten, und ihre Finger gruben sich hilflos in den Sand. Sie hatte nicht einmal die Kraft, sich aufzurichten.
    Adeen ahnte, wo er sich befand. Hatte er nicht geglaubt, ihre Stimme zu hören, als er sie umarmt hatte? Vielleicht gab es doch noch einen Funken Magie in ihr, und sie hatte ihn gerufen? Oder war es seine Magie, die ihm den Weg gewiesen hatte, in Talannas Kopf oder in ihr Herz, dorthin, wo sie sich vor dem Tod versteckte? Sie hatte immer gekämpft, und auch jetzt tat sie es. Sie hatte ihn geholt, damit er ihr half.
    Und wie er es dort auf dem Platz mit ihrem Körper tat, umfasste er sie mit seinem Geist und presste sie an sich. Seine Flügel hüllten sie in Schatten. Er wusste nicht, was er tun konnte, um sie am Leben zu halten, und das machte ihn wütend und verzweifelt. Er konnte spüren, wie sie mehr und mehr an Substanz verlor und eins wurde mit dem farblosen Land, das sie umgab. Wenn sie wenigstens noch ein Gesicht gehabt hätte, an das er sich erinnern konnte, wenn sie ging! Sie hatte die prachtvollsten Farben getragen, wie Flammen und Abendhimmel. Das war ihm als Erstes an ihr aufgefallen, als sie sich begegnet waren. Wie gern hätte er sie seit diesem Tag gemalt, aber er hatte niemals Gelegenheit dazu gehabt und nie die Werkzeuge, die er gebraucht hätte: Leinwand, Pinsel und Farbe. Hatte er geglaubt, er würde es später nachholen können? Was für ein Dummkopf er gewesen war! Hätte er sich nur mehr bemüht, dann würde wenigstens etwas von ihr bleiben!
    Ohne dass er recht wusste, was er tat, schob er sie sanft von sich, blickte in die weiße Fläche, die ihr Gesicht war. Es war feucht, als würde sie weinen, doch auch Tränen sah er nicht. Er berührte sanft die Stelle, wo ihre Wange hätte sein sollen, und wünschte mit aller Kraft, er könnte ihre Farben zurückrufen.
    Tief in ihm legte der schwarze Vogel den Kopf zurück und schrie seinen Schmerz in einen papierfarbenen Himmel hinaus.
    In einem Strudel aus Federn und grün fließender Magie riss es Adeen fort. Es war wie in den Momenten, in denen der Vogel seinen Ruf gehört hatte und zu ihm gekommen war. Er versuchte, sich dagegenzustemmen, denn der Vogel richtete nur Zerstörung an und ließ ihn jedes Mal hilflos zurück, weniger Mensch als vorher. Aber diesmal war es anders. Der Wirbel trug ihn in den Himmel hinauf, und der Himmel war wie ein Blatt Papier, und der Wind wisperte zu ihm mit Talannas Stimme.
    Adeens Herz spannte seine Flügel aus, denn in einem verrückten, überwältigenden Moment spürte er, was die Magie vermochte, die in ihm lebte. Er hatte sie benutzt, um anderen Schaden zuzufügen – oder hatte sie ihn benutzt? Der Vogel hatte auf seine Stimme von Wut, Verzweiflung und Hass gehört. Adeen hatte ihn als den schwarzen Teil im Inneren seines Herzens gefürchtet, dennoch wusste er auf einmal, dass das Wesen nicht böse war. Seine wahre Natur bestand nicht darin, zu verletzen. Und obwohl seine Flügel den weißen Himmel mit Schlieren von Blut und Asche färbten, trug er die Farben in sich, um diese erstarrte Welt zu wecken.
    Adeen zeichnete, wie er es mit einem Pinsel nie gekonnt hätte. Die Farben flossen aus seinem Kopf direkt in seine Hand, seine Krallen, seine Flügel. Er zeichnete für Talanna. Malte sie so, wie er sie sah und sich an sie erinnerte. Sie war ein wildes Wesen und ihm noch immer fremd, manchmal mehr ein Drache als ein Mensch, so verletzlich, und auch auf der Erde brannte ihre Flamme kraftvoll genug, um ihn zu versengen. Und so kleidete er Talanna in einen Mantel aus Feuer. Er fühlte, wie die gezeichneten Flammen an seinen Fingern leckten und ihn wärmten. Sie schmolzen den Himmel auf. Wie eine Eisfläche zersprang er, und durch die Risse drängte intensives Himmelblau, Gelb und Violett und alle Farben, die der nahende Tod ausgelöscht hatte.
    Der Wind brüllte in Adeens Kopf, und der Vogel schwang sich auf in den warmen Sturm, der durch sein Gefieder brauste.
    Ohne Übergang fand sich Adeen auf dem Pflaster des Marktplatzes von Rashija wieder. Talannas Körper in seinen Armen bewegte sich schwach. Sie hustete und murmelte kaum hörbar: »… mich los, du erstickst mich!«
    Die weißen Spuren der Magie auf ihrem Körper waren fort, an ihrer Stelle befanden sich schwach glänzende

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