Fluegel der Dunkelheit
Sein Blick
blieb auf dem Gebüsch ruhen, hinter dem sich Liana versteckt hielt.
Sie hatte die ganze Zeit über bewegungslos hier verharrt, wie konnte
er von ihrer Anwesenheit wissen? Möglicherweise hatte Traian sie
beobachtete, wie Klingberger ihr gefolgt war. Noch immer sah er zu
ihr hinüber. Liana schluckte. Allein wegen ihm war sie hergekommen,
sie sollte sich endlich zeigen. Sie bemerkte wie ihr Herzschlag
schneller, ihr Atem flacher wurde, dabei musste sie natürlich mit
einer ablehnenden Reaktion rechnen. Langsam richtete sie sich auf.
Für einen winzigen Moment sah sie alles schwarz. Tausend kleine
Sterne rasten auf sie zu. Als sich ihr Kreislauf erholte, sie wieder
klar sehen konnte, stand er bereits vor ihr.
Traian.
Das Mondlicht schien
zwischen seinen Haare auf sein Gesicht. Wie makellos, wie perfekt es
aussah. Augenblicklich war ihr Kopf leer. Gedanken sowie Worte waren
davongeflogen. Nur dieser anziehende Mann blieb übrig, der ihr so
intensiv durch seine Haarsträhnen in die Augen schaute, dass Liana
schwindelig wurde.
»Je später die
Nacht, desto schöner die Waldbesucher.« Traians dunkle Stimme klang
nach mehr, als könne man ihm hundert Jahre beim Erzählen zuhören.
Liana suchte nach einem Satz, nach einer Antwort, doch Traians
Anblick, seine Gegenwart, brachten ihre Gedanken völlig
durcheinander. Sie senkte ihren Blick, versuchte dem Chaos in ihrem
Kopf entgegen zu wirken. Solange sie ihm in die Augen sah, schien es
unmöglich.
»Ist alles in
Ordnung?« Er sprach auffallend leise. Liana konnte nicht bestimmen,
ob es der raue Klang seiner Stimme oder seine deutliche Aussprache
war, die sie faszinierte.
»Danke.«
Großartig! Fiel ihr nichts Besseres ein? Sie kam sich töricht vor,
wie ein kleines Schulmädchen ohne Erfahrung, das beim Anblick eines
Jungen rot wurde. Hoffentlich errötete sie nicht wirklich, das wäre
noch peinlicher, als ihre einfallslose Antwort. Liana atmete tief
durch. Es lag jetzt in ihren Händen, eine Frage zu stellen, ein
nettes Gespräch mit ihm zu beginnen.
»Warum sind Sie
neulich so plötzlich verschwunden?« Super! Konnte sie nicht erst
mal nachdenken, bevor sie ihn verbal bedrängte. »Ich hätte Ihnen
gern geholfen.« Na ja, zumindest erweckte der zweite Satz einen
besseren Eindruck. Sie könnte ihn fragen, was mit Klingberger
passieren sollte. Fasziniert starrte sie gebannt in seine hellbraunen
Augen, die sich geheimnisvoll hinter den paar Haarsträhnen
versteckten. »Liana! Ich heiße Liana Majewski.« Er hatte sie nach
ihrem Namen gefragt und sie hatte gar nicht reagiert. Sie musste mit
ihren Gedanken ganz woanders gewesen sein.
»Liana Majewski«,
wiederholte er mit seiner Stimme, die danach klang, als könne man
diesem Mann seine Seele anvertrauen. »Eine schöne Frau sollte nicht
nachts durch den Wald spazieren.« Ein Leuchten blitzte in seinem
Blick auf. »Vor hinterhältigen Gestalten ist man hier nicht
sicher.«
Liana fühlte sich
wie in eine Wolke der Geborgenheit gehüllt. Ihre Umgebung verschmolz
mit der Dunkelheit. Lediglich dieser anziehende Mann vor ihr blieb
vor ihrem geistigen Auge zurück, dabei meinte sie, ihre Hände
würden heiß werden.
»Ich werde Sie zu
Ihrem Auto begleiten.« Er legte seine Hand auf ihren Rücken und
schob sie auf den Weg. Dieser Körperkontakt glich einem sanften
Sommerregen auf nackter Haut, zärtlich und prickelnd. Es fühlte
sich nach einem heilsamen Ritual einer verletzten Seele an. Sie
wünschte sich, in diesen Gefühlen ewig baden zu dürfen. Als Liana
in ihren Wagen stieg, dabei Traian seine Hand zurücknahm, schien es
ihr fast schmerzhaft, sich von seinem wundersamen Kontakt zu trennen.
Allein, ohne ihn, in ihrem Auto nach Hause zu fahren, kam ihr falsch
vor, doch gab es keine Alternative. Eine letzte Berührung auf ihrer
Hand gab ihr Zuversicht Traian wiederzusehen.
Sie wusste,
irgendetwas stimmte hier nicht, sie hatte ihn noch etwas fragen
wollen, konnte sich aber beim besten Willen nicht daran erinnern.
Unfall
N och vor
Vincents inszeniertem Fahrradunfall hatte Traian sein nächstes Opfer
ins Visier genommen: Mario Lehmburger, von Beruf Laborassistent sowie
enger Mitarbeiter von Dr. med. Michael Klingberger. Mario ging einem
für Traian langweiligen Tagesablauf nach, der sich auf Arbeiten
gehen, fernsehen und schlafen, begrenzte. Als Traian an jenem Abend
in der Stadt ankam, schien sein auserwähltes Opfer aber nicht zu
Hause zu sein. Es brannte kein Licht in der Wohnung, auch kein
Bildschirm
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