Fluegel der Dunkelheit
vorsichtig sein. Sergiu
spürte seinen erhöhten Herzschlag bei dem Gedanken, unter den
Dateien etwas Wichtiges zu finden, was endlich Licht in die alte
Sache bringen konnte.
Nach den längsten
gefühlten fünfzehn Minuten der Menschheitsgeschichte rollte Maier
triumphierend einen Rollstuhl ins Krankenzimmer. »Sieh im Schrank
nach meiner Kleidung.«
Maier öffnete den
Schrank und trat demonstrativ zur Seite. Nichts, er war leer. Sergiu
konnte von Glück reden, dass er noch am Leben war. Er wollte
bestimmt nicht darauf warten, dass der Typ mit der Spritze noch mal
vorbei kam und ihm das Lebenslicht auspustete. Er sah sich gezwungen,
im luftigen Krankenhaushemdchen zu flüchten.
»Du weißt schon,
was du hier tust, ja?« Maier sah ihn prüfend an.
»Hast du einen
besseren Vorschlag?« Maier rieb sich über den Oberlippenbart. »Du
siehst nicht aus, als würdest du ohne ärztliche Hilfe auskommen.«
»Schieb mich auf
den Flur.« Sergiu kämpfte mit Schwindel, Kopfschmerzen und der
schlimmer werdenden Übelkeit, doch sein Überlebensdrang war stärker
als alle Beschwerden zusammen. Auf dem Krankenhausflur roch es noch
intensiver nach Desinfektionsmittel. Sein Magen wollte sich gerade
umkrempeln. Sergiu schluckte, atmete dreimal tief durch, verhinderte
damit die aufkommende Katastrophe. Sein schwacher Zustand konnte von
Hartung auch gewollt sein. Wie ein Drogenabhängiger unter
Medikamenten zu stehen, nahm ihm Kraft und Willen. Ausgeliefert, wie
eine Laborratte war er hier.
Oh, nein! Nicht mit
ihm. Sergiu rieb sich den Kopf. »Ist dein Auto hier?« Nichts wie
weg hier, bevor ihm noch ein Arzt ein weiteres Narkotikum verpasste.
»Natürlich. Wir
machen also ne Sause, Buci?« Maier packte die Griffe des Rollstuhls
und schob ihn ein Stück den Flur entlang.
»Die machen wir,
und zwar flugs.« Als sie das Gebäude verließen, schien Sergiu die
warme Mittagssonne ins Gesicht. Ein wenig Erleichterung breitete sich
in Sergiu aus.
Häh?
Wieso Mittagssonne?
Wo war der Montagabend geblieben?
»Sag mal Maier,
welcher Tag ist heute?«
»Dienstag.« Na
großartig. Die Herren hatten also mehr als 20 Stunden Zeit, sich bei
ihm in der Wohnung umzusehen.
Scheiße! Unter
großem Kraftaufwand hievte er sich in Maiers Auto. Wenn doch nur
diese Übelkeit mit dem Brummschädel nicht wäre, aber Hauptsache,
er war aus dem Krankenhaus raus.
Maier setzte sich
ins Auto. »Du bist ganz sicher, dass du jetzt ohne medizinische
Hilfe zurechtkommst?«
Ja, vielleicht hatte
er schon einen Verfolgungswahn. Trotzdem, zu Hause war er allemal
besser aufgehoben. »Fahr einfach, Maier.«
»Ja, ja! Schon
gut.« Der Detektiv startete endlich den Motor. Sergius Augen fühlten
sich unendlich schwer an, deshalb schloss er sie und versuchte ein
wenig zu schlafen, um etwas Kraft zu schöpfen. Doch in seinem Kopf
arbeitete es unentwegt.
Seine Gedanken
gingen zurück, wie er vor sieben Jahren mit der Suche begonnen
hatte. Im Herbst 2004 bat ihn ein bedeutender Freund Ionut Mihai aus
Rumänien, seinen vermissten Bruder Nicolae aufzuspüren. Nicolae war
seit seiner Urlaubsfahrt mit dem Wohnmobil spurlos verschwunden. Die
wenigen Hinweise reichten nicht aus, um einen vernünftigen Ansatz zu
finden, mit dem man hätte arbeiten können. Das letzte Lebenszeichen
bestand aus einem kurzen Anruf von Nicolae, er habe Potsdam fast
erreicht. Erst zwei Jahre später, im Sommer 2006, tauchte das
verschollene Wohnmobil in Polen auf. Spuren von Gewalteinwirkung im
Inneren, Beulen oder Kratzer gaben keinen Aufschluss, was damals
passiert sein könnte. Zu dieser Zeit war auch Victor nach
Deutschland gekommen, um Sergiu bei den Nachforschungen zu
unterstützen. Doch mit jeder Woche, mit jedem Monat, ja mit jedem
weiteren Jahr, verblasste die Hoffnung auf eine Klärung des
rätselhaften Verschwindens von Nicolae. Die Suche nach Hinweisen,
wenn es überhaupt welche gab, schien in Sackgassen zu enden.
Kürzlich hatte Sergiu einen zusätzlichen Detektiv hinzugezogen.
Dieser hatte das verlassene Krankenhaus in Hohen Neuendorf, wo
seinerzeit das Wohnmobil gesehen worden war, erneut unter die Lupe
genommen. Wie damals Maier brachte der neue Detektiv anfangs nichts
Unbekanntes in Erfahrung. Nach der Wende hatte man das Krankenhaus
geschlossen. Ein kleines Team von Medizinern hatte sich vergeblich um
den Erhalt der Anlage bemüht, doch bald wurden die Fenster im
Erdgeschoss mit Blechplatten versiegelt, um die Gebäude zu sichern.
Seither kümmerte sich lediglich ein
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