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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Cardinal
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Muskel war zum Zerbersten angespannt, bereit, loszurennen.
    Ich wusste auch, wovor.
    Rechts von mir arbeitete sich eine geduckte Gestalt ins Licht einer Straßenlaterne. Sie trug einen langen, dunklen Mantel, Gesichts- und Kopfbehaarung waren vollkommen verdreckt und schwitzig. Die Augen des Aussätzigen leuchteten lüstern.
    Mir schoss ein Bibelzitat in den Kopf, das ich mir vor wenigen Wochen unwissend eingeprägt hatte. »Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen.«
    Oh nein, ich würde gar nichts tun. Ich mochte vielleicht ein Engel sein, aber helfen konnte ich ihm nicht. Ich war auch nicht allmächtig. Und so, wie er es sich vermutlich wünschte, konnte ich ihm erst recht nicht dienen.
    Er war nur noch wenige Meter von mir entfernt, als ich losrannte und die Gasse so schnell wie möglich hinter mir ließ. Ich wollte nur nach Hause.
    Bloß weg.

6
     
    Emilia stand lange Zeit einfach nur da und starrte auf den Sessel, wo bis vor kurzem noch die hübsche Braunhaarige gesessen hatte. Valentin las aus ihrem leeren Blick, dass mal wieder der Teufel mit ihr durchgegangen war. Er seufzte. Das passierte manchmal, in letzter Zeit immer öfter. Emilia stand unter einem enormen Druck, seit sie keinen einzigen Verlag mehr hatte, der ihre Artikel drucken wollte. Und offenbar war sie niemand, der diesen Druck verkraftete.
    »Du hast doch jetzt jemanden, der deine Geschichten will«, sagte er nach einiger Zeit. »Wieso bist du dann immer noch so?«
    Emilia erwiderte nichts. Sie nahm nur tief Luft und ging in Richtung ihres Büros.
    »Und wieso möchtest du nicht, dass ich erfahre, worum es wirklich in deiner Story geht?«
    Wieder keine Antwort.
    Jetzt stand auch Valentin auf und folgte ihr.
    Bevor sie die Tür abschließen konnte, klemmte er seinen Fuß in den Spalt. Giftig sah sie ihn an. »Ich muss arbeiten.«
    Es war ihm gleich. »Du hast gerade deine Kundin vertrieben, Emilia.«
    Er wusste, dass ihr Blick, in Verknüpfung mit ihrem Schweigen, Ist mir egal bedeutete.
    »Ich möchte, dass du dich zusammenreißt«, fuhr er dennoch fort. »Nina hatte mit der Aktion eben nichts zu tun. Du hättest sie nicht anscheißen sollen.«
    »Dann hättest du mir nicht auf den Sack gehen sollen«, blaffte sie zurück.
    »Du brauchst sie«, sagte Valentin. »Wenn sie dir flöten geht, weil du mit ihr umgehst wie mit einem Stück Dreck, dann hast du die Scheiße am Schuh, nicht ich. Ich versuche nur, nett zu sein und dir einen Rat zu geben.«
    Kurz schwieg sie. Aber er wusste noch, bevor sie ihm antwortete, dass seine Standpauke nichts gebracht hatte. »Und weiter?«, fragte sie schließlich.
    Er hob die Schultern. »Denk mal darüber nach.«
    »Wenn du mir einmal Ruhe gönnen würdest, dann könnte ich das vielleicht auch.« Ihre Augen waren jetzt nichts als dünne Schlitze, gefüllt mit Wut.
    Er schüttelte noch einmal den Kopf und zog dann langsam seinen Fuß zurück. Vor ihm knallte die Tür ins Schloss und ein Schlüssel drehte sich.
    Abgeschlossen.
    Er seufzte auf. Vor wenigen Minuten hatte er noch ins Auge gefasst, sie eventuell auf ein Getränk einzuladen, aber diese Idee war binnen Sekunden aus seinem Kopf gewichen. Was hatte das für einen Zweck? Sie war schon lange nicht mehr das liebenswürdige Mädchen, als das er sie kennen gelernt hatte. Sie war mittlerweile das Mädchen, das ihm die Tür vor der Nase zuschlug und abschloss. Ihm. Ihrem Freund.
    Er wandte sich von der Tür ab und ging wieder zum Sofa. Kraftlos sackte er darauf nieder, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es war ein schleichender Prozess gewesen, schon vor einigen Monaten hatte er bemerkt, wie aufopfernd sie sich ihrer Arbeit hingab. Es hatte damit angefangen, dass sie stundenlang vor ihrem Computer und einer leeren Seite saß und sie anstarrte, um ab und zu ein paar Wörter einzutippen, sie aber sofort wieder zu löschen. Dann hatte sie sich nächtelang in Foren herumgetrieben, nach Themen oder Menschen gesucht, über die man schreiben konnte. Ohne Erfolg. Sie war andauernd mitten in der Nacht aufgestanden und hatte die Wohnung verlassen. Wieso, wusste er bis heute nicht. Und dann war er vorgestern nach Hause gekommen, um sie mit starrem Blick auf dem Sofa sitzen zu sehen, irgendwie lächelnd, und gleichzeitig auch nicht. Sie hatte dort den ganzen Tag und die ganze Nacht gesessen.
    Und dann hatte sie gestern zum ersten Mal Besuch von Nina bekommen.
    Er schlug die Augen auf und

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