Fluegellos
seufzte erneut. Seitdem hatte diese Besessenheit einen neuen Höhepunkt erreicht. Würde das aufhören, sobald sie einen Erfolg landete?
Andererseits spielte das alles keine Rolle. Sie war drauf und dran, ihren Artikel – ob es nun um eine ehemalige Bulimie-Kranke, wie sie mir erzählt hatte, ging, oder nicht – in den Sand zu setzen, indem sie die Hauptbeteiligte verjagte.
Oder auch nicht.
Sofort widmete er sich dem Sofatisch, der schon lange nicht mehr aufgeräumt worden war. Er ordnete die Rechnungen und stapelte sie ganz links. Dann kamen diverse Artikel, die Emilia ausdruckte, um stundenlang auf die Formulierungen zu starren und sie zu zerlegen , wie sie es ausdrückte. Ein weiterer Stapel. Dann die Zeitschriften. Fernsehzeitschrift, Autorenzeitschrift, Fotografiezeitschrift. Neuer Stapel.
Dann fiel Valentins Blick auf das, wonach er gesucht hatte. Einen Zettel, der zu keiner der Kategorien gehörte. Er sah vergleichsweise neu aus und hatte nur wenige Eselsohren oder Knicke. Es stand nicht viel auf ihm, nur zwei Anordnungen von Ziffern. Handy- und Festnetznummer. Die Vorwahl der zweiten deutete darauf hin, dass das zugehörige Telefon in einer Wohnung hier in Köln stand.
Valentin griff nach dem Handy, das Emilia auf dem Tisch hatte liegen lassen, und wählte die erste Nummer ein. Sofort wurden die Ziffern durch den Namen Nina ersetzt, was seine Vermutung bestätigte: Es war die richtige Nummer.
Aber sie drückte ihn weg.
Er unterdrückte einen genervten Seufzer – Frauen! – und nahm sich der zweiten Nummer an. Dann musste er halt sofort aufs Ganze gehen.
Valentin stand auf und eilte, so leise es ging, in das Schlafzimmer. Er schnappte sich das Notebook von seiner Kommode und schaltete es an. Unruhig trommelte er auf der Tastatur herum, während es hochfuhr.
Bitte lass sie eingetragen sein, flehte er innerlich.
Mit dem gewohnten Laut erwachte der Computer zum Leben und er öffnete das Internet. Auskunft.
Er tippte die Festnetznummer ein, drückte auf Enter und schloss die Augen, während es lud. Als Valentin sie wieder öffnete, blinkte auf dem Bildschirm ein Fenster.
Ein Ergebnis.
Sofort schlich sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Gefunden.
Er klappte das Notebook wieder zu, warf den Zettel zurück auf den Sofatisch und ging zur Wohnungstür. Er überlegte kurz, ob er Emilia sagen sollte, dass er etwas Zeit auswärts verbrachte, aber entschied sich dagegen. Sie würde seine Abwesenheit wahrscheinlich ohnehin gar nicht bemerken. Wahrscheinlich würde sie das nicht einmal, wenn er zwei Wochen weg war.
Mit dieser Erkenntnis verließ er die Wohnung und machte sich auf, den einzigen Menschen zu besuchen, der ihm in seinem aktuellen Leben vernünftig schien.
7
Nach wenigen Kilometern, kurz vor meinem Haus, tat mir die Seite vom Rennen weh. Ich musste mich an einer Mauer abstützen, die den Bürgersteig säumte, um überhaupt vom Fleck zu kommen. Es war ein unschönes Gefühl, so schwach zu sein. Was, wenn mich jemand angriff? Wegrennen konnte ich jetzt vergessen.
Ich blickte kurz nach hinten, um dem Kribbeln in meinem Rücken nachzukommen. Ich hatte seit geraumer Zeit das Gefühl, dass mich noch immer jemand verfolgte. Entweder lag es an meiner momentanen Paranoia, oder ich war wirklich nicht so alleine, wie ich gerne wäre. Ich erkannte hinter mir aber niemanden, und so versuchte ich, meine Gedanken wieder auf eine andere Bahn zu lenken. Aber es gelang mir nicht.
Ich bog in meinen Hauseingang ein und kramte den Schlüssel aus meiner Handtasche. Ich wollte so schnell wie möglich in meiner Wohnung verschwinden, meine Sorgen in einer großen Schüssel Schokoladeneis versenken und mir einen Horrorfilm antun. Einfach abschalten. Zumindest würde ich das tun, wenn ich keine Nachricht erhielt. Um mich abzulenken.
»Nina?«
Ich erstarrte, die Hand direkt über dem Türknauf. Kaum war die Stimme hinter mir verklungen, spürte ich, wie mein Herz immer panischer zu schlagen begann und meine Hände feucht wurden. Ich überlegte, was besser war: Mich umdrehen und meinem Verfolger ins Gesicht sehen, oder aufschließen, ins Haus schlüpfen und die Tür sofort wieder zuziehen?
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. War keine Absicht«, ertönte die Stimme dann wieder. Sie sagte mir etwas. Kurz hielt ich es für meinen Nachbar, bis eine sanfte Duftwolke meine Nase erreichte. Ich kannte diesen Geruch.
»Valentin?!«, fragte ich überrascht, noch während ich mich umdrehte. Dort
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