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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Cardinal
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sagt, zahle ich jedes Getränk, das du heute oder irgendwann noch trinkst.«
    »Wenn du mit irgendwann noch den Rest meines Lebens meinst, würde ich mir langsam mal einen zweiten Job suchen.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und ließ meinen Blick an ihm vorbei schweifen. Der Junge am Tisch machte keine Anstalten, aufzustehen. Und das war auch gut so.
    Ich wartete noch, bis Valentin meinem Blick folgte und auf dem Tisch dort verharrte, dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen.
    Es konnte losgehen.

8
     
    Seinen Körper zu verlassen, ist nicht so widerlich, wie es vermutlich klingt. Im Grunde ist es ganz interessant, da zu stehen, alles in einem seltsam intensiven Schwarzweiß zu sehen und nichts mehr zu fühlen. Weder das Kribbeln in einem eingeschlafenen Fuß, noch das Gewicht des Kopfes, der auf dem Hals lagert, noch jede Art der Müdigkeit. An sich ist es sogar entspannend.
    Das einzige wirklich Ungewohnte ist die Tatsache, dass man sich selbst aus der Perspektive eines Außenstehenden sieht, was sonst nie im Leben der Fall ist. Man sieht sich vielleicht auf Fotos, Videos oder im Spiegel, aber sich selbst in Person gegenüberzustehen, ist eine ganz andere Liga. Und einen Hauch beängstigend.
    Ich wandte den Blick von meinem fleischlichen Ich ab, das da mit geschlossenen Augen und kurzem, schwarzen Kleid am Tisch saß und vollkommen entspannt aussah. Valentin sah noch immer gespannt an den Nebentisch, an dem sich mein Opfer aufhielt. Ich musste ihn im Auge behalten, um sicher zu gehen, dass er sich nicht zu mir umwandte und feststellte, dass ich eingeschlafen zu sein schien. Deswegen musste ich schnell machen.
    Ich ging quer durch die Tische auf meinen Kandidaten zu, der es nach wie vor bei flüchtigen Blicken zum Mädchen im kurzen Blauen beließ. Von sich aus würde er daran auch nichts ändern, also kam ich hier ins Spiel.
    Ich zwängte mich an seinen Freunden vorbei durch den Tisch. Das Gute an dieser Gestalt war, dass mir Hindernisse nichts ausmachten. Materielle Dinge konnten mich nicht aufhalten, immerhin war ich gerade genau das Gegenteil. Ich war nur eine Seele, ohne jeden Körper, und auch ohne selbst ein Hindernis darzustellen. Anders war es da mit anderen Menschen. Ihre Körper waren zwar kein Problem, aber das, was in ihnen steckte, schon. Wenn ich ihre Seelen berührte, kommunizierte ich mit ihnen. Das war nur dann gut, wenn ich das beabsichtigte, so wie jetzt. Wenn ich die Seele eines anderen unabsichtlich berührte, teilte ich ihm vermutlich Gedanken mit, die er gar nicht wissen sollte. Und für gewöhnlich reagierten Menschen nicht wirklich gut auf fremde Stimmen in ihrem Kopf.
    Als ich neben dem Jungen zum Stehen kam, sah ich noch einmal zu Valentin hinüber. Jetzt wirkte es fast so, als sähe er meinem seelischen Ich direkt in die Augen. Dabei wartete er einfach nur darauf, dass der Typ mit heller Jeans und weißem Hemd aufstand und tatsächlich zu dem Mädchen hinüberging.
    Dann sorge ich doch mal dafür.
    Ich hob meine Hand, die nicht mehr als ein weißer, verschwommener Schimmer war, und näherte mich mit ihr seinem Schädel. Je näher ich kam, desto deutlicher verstand ich die Stimmen, die von ihm ausgingen. Es waren seine Gedanken, Erinnerungen und Träume, die in seiner Seele umherschwirrten. Jetzt, wo ich noch weiter von ihm weg war, waren sie nur undeutlich zu verstehen, ineinander verwoben oder nichts als ein leises Gemurmel.
    Ich konzentrierte mich darauf, meine eigenen Gedanken zu ordnen und die, die ich nicht gebrauchen konnte, stumm zu schalten. Was wollte ich von ihm? Dass er zu ihr ging und sie fragte, ob er ihr noch einen Drink ausgeben durfte.
    Ich werde zu ihr gehen, sie ansprechen und ihr vorschlagen, dass ich ihr noch einen Drink spendiere , murmelte ich in mich hinein. Ich konzentrierte mich darauf, nur das zu denken. Ich werde zu ihr gehen, sie ansprechen und ihr vorschlagen, dass ich ihr noch einen Drink spendiere . Immer wieder wiederholte ich diese Worte in meinen Gedanken, bis ich nirgendwo mehr in meinem Kopf einen anderen Gedanken erspähen konnte, gleich, wie intensiv ich suchte.
    Ich war bereit.
    Jetzt senkte ich meine Hand noch tiefer und sah, wie sie in seinem Schädel zu verschwinden schien. Die Stimmen wurden lauter, zu ihnen gesellten sich Bilder und kurze Filmchen. Er, wie er als kleiner Junge auf den Schultern eines Mannes – vermutlich sein Vater – ritt. Wie er denselben Mann als Jugendlicher im Schach besiegte. Wie er mit seinen

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