Fluegellos
»Dann kann ich mich schnell umziehen und du kannst das Kleid und diese …« Ich warf einen schnellen Blick auf die fingerlosen Spitzenhandschuhe. »Dinger direkt wieder mitnehmen.«
Er hob die Schultern. »Klar, mache ich.«
Ich lief vor, um die Tür aufzuschließen, und führte ihn das Treppenhaus hinauf zu meiner Wohnung. Mein Blick fiel vorher kurz auf den Briefkasten, aber ich ging an ihm vorbei, ohne ihn anzurühren. Ich würde nachher nachsehen.
»Hübsche Wohnung«, sagte Valentin direkt, als wir eingetreten waren. Ich wusste, was er meinte. Die Wand war in einem freundlichen Limettengrün gestrichen, und ich hatte an allen möglichen Orten Blumen, Teelichter oder geschnitzte Figürchen platziert. Es war ein krasser Kontrast zu seinem kalten, weißen Wohnzimmer. Im Gegensatz zu diesem herrschte hier nämlich Leben. »Die ist mit Sicherheit nicht billig. Darf ich fragen, als was du arbeitest?«
Ich lächelte, reichte ihm seine Jacke und führte ihn ins Wohnzimmer. »Sekretärin. Aber bei der Wohnung hatte ich Glück, sie gehört Jasper und Janina. Sie vermieten sie mir für einen relativ günstigen Preis.«
»Wer ist das?«
Ich hielt inne, bevor ich die Tür zum Schlafzimmer öffnete, wo ich mich umziehen wollte. »Das sind meine Pflegeeltern. Können wir da später drüber reden?«
Er wirkte kurz erschrocken, überschminkte es allerdings mit einem schwachen Lächeln. »Klar.«
»Danke. Mach es dir bequem, ich bin gleich fertig.« Ich schlüpfte ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich musste grinsen. Das Bett war ungemacht, meine Klamotten lagen auf einem Haufen auf dem Boden und die Vorhänge waren zugezogen. Zum Glück war der Kater vorbei, der mich das hatte anrichten lassen.
Bevor ich aus dem kurzen Kleid schlüpfte, betrachtete ich mich noch einmal im großen Wandspiegel. Valentin hatte nicht gelogen. So schlecht sah das Kleid an mir gar nicht aus. Die Länge war das einzige Problem.
Als ich mich fertig umgezogen hatte, faltete ich Emilias Sachen und schob sie in einen Jutebeutel, der neben meinem Bett lag. Ich hatte für mich ein luftiges, weißes Kleid ausgewählt, in dem ich für gewöhnlich abends vor dem Fernseher saß oder ein Buch las. Es war einfach ungemein bequem.
»So.« Ich kehrte zurück ins Wohnzimmer und reichte Valentin, der gerade mein Bücherregal studierte, den Beutel. »Da drin sind das Kleid, die Handschuhe – oder was das sein soll – das Halstuch und zwei Federn, die ich aus Versehen in meinem Ausschnitt habe mitgehen lassen.«
Er grinste und musterte kurz das Kleid, das ich aktuell trug.
»Ist was?«, fragte ich.
»Nein. Weißt du, du siehst gut aus.«
Ich lächelte etwas argwöhnisch. »Danke.«
Er wandte sich wieder von mir ab und wies auf das Bücherregal. »Tolkien? Heitz? King? Wo bleiben die typischen Frauenromane? Nichts mit Romantik oder Herzschmerz?«
Ich hob die Schultern. »Ich stehe eben mehr auf Horror und High Fantasy. Mit diesen ganzen Kitschlektüren kann ich nichts anfangen.« Das entsprach sogar der Wahrheit. Oder zumindest halb. Es tat einfach zu sehr weh, Bücher über Liebe zu lesen, wenn ich dieses Gefühl selbst nicht verspüren konnte.
Er nickte anerkennend. »Da bist du die erste Frau, die ich kenne, die das sagt.«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Und was ist damit?«
Ich erschrak, als ich erkannte, worauf er deutete. Auf die Pinnwand. Mit meiner Auflistung.
Ich überlegte fieberhaft, wie ich das erklären konnte. »Ich …«, begann ich und brach sofort wieder ab. Mist! Wieso hatte ich nicht daran gedacht, sie zuzuhängen, wenn ich Besuch bekam?!
»Gott? Gehirn? Umfeld? Und ein vierter, leerer Punkt?«
»Ich sammle Worte, die mit G anfangen«, murmelte ich planlos. Und sofort wollte ich mich schlagen, als ich realisierte, dass …
»Umfeld fängt nicht mit G an«, hatte auch Valentin bemerkt.
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Ja, weißt du, das ist … nur so ein Tick von mir. Ich schreibe ab und zu einfach Begriffe auf, die mir in den Sinn kommen.«
Er hob eine Braue. Er glaubte mir nicht.
»War es das dann?«, fragte ich, um ihn zum Gehen zu drängen. »Ich habe heute eigentlich noch einen Termin, also …«
»Einen Termin mit deinem Sofa, deinem Fernseher und einem Becher Ben & Jerry’s?« Ich nahm erleichtert wahr, dass er wieder grinste.
»Genau. Also, wenn es dich nicht stört, dann würde ich jetzt gerne …«
»Schon klar.« Er verließ das Wohnzimmer und blieb im Flur noch kurz stehen. »Ach
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