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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Cardinal
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nicht.«
    »Alles in Ordnung«, log ich und flehte meine Beine an, durchzuhalten. Aber ich spürte, wie die Kraft in ihnen schon langsam nachließ.
    »Okay«, murmelte Valentin, auch, wenn er nicht wirklich überzeugt wirkte. »Warst du schon einmal um diese Uhrzeit am Rhein?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe es noch nie für eine gute Idee gehalten, nachts alleine unterwegs zu sein. Vor allem als Frau.«
    Valentin lächelte. »Alleine? Ein Mädchen wie du hat doch ganz sicher eine Begleitung.«
    »Du meinst einen Freund?«, fragte ich und zog eine Grimasse, die er zum Glück nicht bemerkte.
    »Ich meine einen Freund«, nickte er.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Ich hatte viele Freunde. Aber keinen, mit dem ich fest zusammen war. Und diese Freunde waren nicht die Art von Menschen, die sich nachts an Flüssen rumtreiben.« Wieso auch. Jeder bisherige Freund wusste von meinem Unfall, und davon, was ich mit Wasser verband. Dass es mich schon einmal das Leben gekostet hatte.
    »Wie kommt es, dass du keinen Freund hast?«
    »Muss jedes Mädchen einen Freund haben?«, erwiderte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte es dir nur nicht zugetraut.« Irrte ich mich, oder war da gerade ein Lächeln über seine Lippen gehuscht, das seine weißen Zähne kurz hatte aufblitzen lassen? »Dann kannst du mir auch nicht verraten, ob das mit Emilia normal ist, oder?«
    »Was genau meinst du?«
    »Dass sie mich so anfährt. Dass ihr der Job wichtiger ist, als ihr Freund.«
    Ich zögerte. Ich erinnerte mich ganz dunkel an die Liebe. Die meinen Eltern gegenüber. Die meinem ersten Kindheitsschwarm in der sechsten Klasse gegenüber. Es war ein unheimlich schönes und starkes Gefühl, und deswegen wollte ich es auch zurückhaben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ein schöneres Gefühl war, eine anerkannte Journalistin zu sein. »Nein, ich glaube nicht, dass das normal ist«, sagte ich. Alle Filme, die ich gesehen hatte, zeugten auch davon. Einige waren bereit, für die Liebe zu sterben. Andere reisten für sie um die ganze Welt und gaben ihre Karriere auf.
    »Danke«, murmelte Valentin. »Dafür, dass du bestätigst, was ich denke.«
    Ich nickte und sah nach vorne. Wir waren kurz vor der Hohenzollernbrücke, ich sah die eisernen Schlösser im Licht einer Straßenlaterne funkeln. Dort vorne hörte der feste Boden auf und wir würden in der Luft laufen. Fast, zumindest. Nur gehalten von einer dünnen Schicht Beton, unter uns viele, viele Meter kalte Luft und dann der tiefe, schwarze Rhein.
    Ich schluckte und versuchte, die Angst zu verdrängen. Aber es war vergebens. Mit jedem Schritt kam ich der Brücke näher, und mit jedem Schritt wurden die Muskeln in meinen Beinen ein bisschen mehr zu Pudding. Mein Atem wurde dementsprechend panisch.
    Ich packte Valentins Hand, um mich zu stützen.
    Er blieb stehen. »Nina?«
    Ich versuchte, meinen Blick zu heben, aber ich konnte ihn nicht von den dunklen Fluten abwenden, die ich dort unten fließen sah. Augenblicklich spürte ich wieder, wie Kälte meinen Brustkorb zusammenpresste. Hörte das Sprudeln der Wellen, die mich unter Wasser gerissen haben. Fühlte die Ohnmacht, die sich in meinem Körper breit gemacht hatte. »Hm?«, flüsterte ich, um wenigstens etwas von mir zu geben.
    »Du hast ein Problem mit dieser Brücke«, stellte Valentin fest.
    Jetzt hob ich den Blick. War das eine Frage gewesen? »Nein«, antwortete ich nur.
    Valentin entspannte sich. »Okay, nicht mit dieser Brücke. Generell mit Brücken.«
    Ich nickte langsam. Gerade bahnte sich ein kleines Schiff seinen Weg den Rhein hinunter. Die Strömung schien es mühelos zu tragen, ja, es sah fast friedlich aus. Aber ich kannte das wahre Gesicht dieses Wassers. Es war ein dunkles, mörderisches Gesicht, das alles und jeden verschlang, der auch nur eine Sekunde unachtsam war.
    »Hat es mit dem Wasser zu tun?«
    Ich nickte wieder und versuchte, die Kraft in meinen Beinen wieder zu finden. Aber ich wusste, dass ich ohne Valentins Hand schon lange zusammengebrochen wäre.
    »Damit, dass du ein Engel bist?«
    Ich nickte. Ich kam mir dumm vor, immer nur stur zu nicken, aber ich hatte das Gefühl, keinen vernünftigen Satz auf die Reihe zu bekommen, sobald ich auch nur zum Sprechen ansetzte.
    Valentin wandte sich mir zu und schloss seine Arme um meine Schultern. Er stützte mich, hielt mich, bewahrte mich davor, umzufallen. Ich hörte seinen Herzschlag, als er mich an sich drückte. Er war vollkommen ruhig. »Wir

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