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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Cardinal
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verschwinden«, flüsterte ich Valentin zu und schob mich an ihm vorbei ins Treppenhaus. Er schloss die Tür, blieb aber noch kurz stehen. »Willst du dich nicht anders anziehen, bevor wir an die kalte Luft gehen? Es ist Oktober und kein Hochsommer mehr.«
    Ich ließ die Schultern hängen. »Das hat nichts mit der Kälte zu tun, oder?«, murmelte ich. »Sieht das Kleid so schrecklich an mir aus?«
    Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, das hat wirklich mit der Kälte zu tun. Es sieht unheimlich … toll an dir aus. Wenn auch ein bisschen kurz.« Er grinste.
    Ich seufzte genervt auf. »Würdest du mich nach Hause bringen?«, fragte ich ihn. »Damit ich nicht ganz so … auffordernd aussehe, wenn ich durch die Stadt laufe? Ich hatte gestern schon so eine unangenehme Begegnung. Und da war ich normal angezogen.«
    Er runzelte kurz die Stirn, entschied sich dann aber, nicht weiter zu fragen, und nickte nur. »Klar.«
    »Danke.« Ich folgte ihm die Treppe hinunter und atmete erleichtert die kühle Luft ein. Durch die Scheinwerfer, die Emilia um mich herum aufgestellt hatte, war die Luft in ihrer Wohnung heiß und stickig geworden. Der Wind war zwar wirklich typisch kalt für Oktober, aber dennoch angenehm auf meiner Haut.
    »Sie ist unglaublich«, murmelte Valentin, als wir die Straße hinaufliefen. »Mich einfach so anzuschreien und rauszuwerfen. Das hat sie noch nie gemacht.«
    »Tut mir leid«, seufzte ich. »Das muss meine Schuld sein. Wahrscheinlich kommt sie nicht mit dem Artikel klar.«
    Er schüttelte den Kopf, zog seine Jacke aus und reichte sie mir. »Hier.«
    Ich zögerte keine Sekunde, sondern nahm sein Angebot direkt an und schlüpfte in die von seinem Körper gewärmte Jacke. Wir sahen sehr aus wie Freund und Freundin, was mir nicht missfiel. Aus dem Grund, dass es in Köln nachts von notgeilen Spinnern wimmelte, die sich gerne an Mädchen anschlichen, die alleine herumliefen.
    »Wie meinst du das? Du hast gerade den Kopf geschüttelt.«
    »Ich meinte damit, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es so ausartet. Weißt du, wir sind gerade finanziell nicht wirklich gut dran. Sie musste letzten Monat die alte Kommode ihrer Großmutter verkaufen, damit wir die volle Miete bezahlen konnten. Was wir diesen Monat machen sollen, wissen wir nicht.«
    »Schade um die Kommode«, murmelte ich. »Sie hätte das Weiß vom Wohnzimmer wahrscheinlich aufgewärmt.«
    Er lachte. »Ja. Das hat sie wirklich. Was allerdings nichts daran geändert hat, dass sie eigentlich total hässlich war. Aber Emilia hat darauf bestanden, dass wir das Wohnzimmer weiß färben. Ihr hat das Olivgrün von vorher nicht gefallen.«
    Ich lächelte. Es wunderte mich, wie gut er drauf war, obwohl es gerade einen schweren Streit zwischen ihm und seiner Freundin gegeben hatte. Er musste sich tatsächlich schon länger darauf vorbereitet haben. Oder aber das passierte nicht selten.
    Valentin sah zu mir und musterte meine Haare. »Moment.«
    Ich blieb stehen und beobachtete, wie er in mein Haar griff. »Was ist?«
    Er entblößte eine kleine, weiße Feder, die in seiner Faust lag, und lächelte. »Du hast Emilia etwas geklaut. Pass auf, dass sie dich nicht anzeigt.«
    Da muss ich sowieso aufpassen. Aber in Wirklichkeit geht es um Betrug, nicht um so eine läppische Feder , dachte ich, zwang mir aber ein Lächeln auf. »Meinst du, sie beruhigt sich wieder?«, fragte ich, als wir weiterliefen.
    Er hob die Schultern. »Schwer zu sagen. Es kann sich um Wochen handeln, oder Monate. Oder sie versinkt ganz in ihrer eigenen Welt und ertrinkt darin.«
    Bei dem Wort ertrinkt zog sich mein Herz leicht zusammen. Dann ging es ihr so, wie ich mir mein Lebensende gewünscht hatte. Ich hätte wirklich an diesem Tag im Rhein ertrinken sollen, gemeinsam mit meinen Eltern. Das hätte das Ende vieler Freundschaften verhindert, die an nicht erwiderter Liebe zerbrochen waren. Und vielleicht auch, dass Emilia jetzt in dieses Loch gefallen war und dadurch auch Valentins Leben einen Riss abbekommen hatte.
    Lange Zeit liefen wir schweigend nebeneinander her, ich kämpfte mit dem Verlangen, ihm von meinem Betrug zu erzählen. Noch war nicht sicher, dass ich irgendwann seine Hilfe brauchen würde, Emilia loszuwerden. Aber ich fürchtete mich schon jetzt vor diesem nicht definitiven Moment.
    »Wir sind da«, riss mich Valentin aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon an meiner Wohnung angekommen waren.
    »Kommst du kurz mit hoch?«, fragte ich.

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