Flüsterherz
gut. Kümmer dich jetzt lieber ums Geschirr. Aber zerschmeiß meinen alten Elmo-Becher nicht. Den will ich nämlichgern weiter benutzen, und zwar in heilem Zustand. Warte, am besten stell ich ihn selber in den Schrank.« Das machte er tatsächlich. Danach verzog er sich zum Glück nach oben.
Mir fiel der Ajax-Becher wieder ein, der nun schon seit Monaten bei mir im Zimmer lag. Ich musste ihn endlich mal kleben.
Ich musste dies, ich musste das … diese ewigen Pflichten nervten mich total. Warum durfte es nicht einfach mal ein bisschen später werden, wenn ich mit einer Freundin verabredet war?
Eileen und ich waren noch im Eiscafé gewesen, weil sie mir – logischerweise! – alles über ihren Neuen, der übrigens Timo hieß, erzählen musste. Eine gute Stunde hatte sie mich vollgequasselt und dabei ihre Papierserviette bemalt: TE, TE, TE … »TE, das sind wir. Klingt gut, nicht?«
»Ja. Hast du schon seine Handynummer?«
»Nächstes Mal frag ich ihn danach. Falls ich mich traue.« Sie warf mir einen hoffnungsvollen Blick zu.
»Klar traust du dich.« Ich zögerte kurz, aber bei Eileen konnte ich es wohl wagen. »Wie klingt denn EA?«
»A? Du meinst T. Er heißt doch Timo.«
Als wüsste ich das nach einer geschlagenen Stunde noch nicht. »Und wie heiße ich?«
»Ach so … logisch, du bist natürlich A. Und wer ist E? Moment, lass mich raten! Easy, der Typ aus der Zwölf! Stehst du auf den?«
Ich nickte leicht, denn ganz sicher war ich mir nicht.
»EA, EA, mal überlegen …«, sagte sie.
»Ist das ’ne Abkürzung? Nein, oder?«
»Doch.
Electronic Arts
. Die machen Computerspiele.
Sims
und so.«
»Hmmm, schon belegt«, sagte ich. »Dann wird wohl nichts draus.«
»Ach was«, meinte Eileen. »Das hat nichts zu sagen.«
»Und wie klingt TT?«, fragte ich.
»Wer soll das sein?«
»Tibby und Tarik.«
»Keine Chance«, sagte Eileen. »Tarik steht auf dich. Hat er doch auf den Zettel geschrieben. Außerdem flirtet er dich ständig an.«
»Der albert nur rum«, sagte ich. »Jede Wette, der Zettel war für Tibby. Neulich wollte er sogar auf dem Schulhof mit ihr tanzen, das hättest du sehen müssen.«
Wenn ich es mir recht überlegte, war das schon ziemlich lange her. Trotzdem …
»Warten wir’s ab«, meinte Eileen. »Hör mal, wann wollen wir Tibby denn den Reifen geben? Und was sagt man am besten bei so einem Geschenk?«
Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Wir konnten ja schlecht sagen: »Hier hast du einen neuen Reifen, damit das Theater mit dem alten endlich aufhört.« Im Grunde war es eine ganz schön peinliche Aktion von uns.
Nach dem Essen ging ich sofort in mein Zimmer, denn es herrschte mal wieder total miese Stimmung. Die dämlichen Pizzas waren angebrannt und ich war natürlich schuld. Ma nörgelte die ganze Zeit an mir herum, von wegen ich hätte überhaupt kein Verantwortungsgefühl und wo ich denn inletzter Zeit meine Gedanken hätte und bla-bla-bla … gähngähn-gähn.
Ich saß mit aufgestützten Ellbogen am Fenster und guckte in den Himmel. Die Wolken hatten die Sonne verschluckt und ballten sich jetzt wie schmutzig graue Zuckerwatte über den Häusern zusammen. Es wurde immer dunkler und ich fühlte mich einsam und verlassen.
Alles, was ich machte, kam mir sinnlos vor. War es falsch, dass ich so viel Zeit mit Tibby verbrachte? Sollte ich lieber öfter was mit Eileen unternehmen? Und was hatte es mit Tibbys Schulbüchern auf sich? Waren ihre Eltern wirklich so knapp bei Kasse oder warfen sie ihr Geld zum Fenster raus und hatten deshalb nichts? Musste Tibby einem leidtun oder war sie einfach nur launisch? Sollten wir ihr den Reifen überhaupt geben oder besser darauf warten, dass sie das Rumnölen irgendwann satthatte und sich selber kümmerte?
Fragen über Fragen – und es wurden immer mehr. Wie konnte ich zum Beispiel rausfinden, ob Easy mich mochte? Was mochten Jungs eigentlich an Mädchen und was nicht? Warum spielte Sam sich in letzter Zeit so auf, und warum machte Pa ständig so alberne Bemerkungen, als wäre ich ein Kleinkind? Warum hatte Tibby vier Katzen und ich keine einzige? Ein riesengroßes Fragenpuzzle spukte mir durch den Kopf.
Ich wende den Blick vom Flüsterbuch ab und konzentriere mich darauf, in aller Ruhe logisch nachzudenken
.
So wie früher
.
Früher glaubte ich, alles ließe sich verstehen, wenn man die Dinge nur gut durchdenkt, nach einleuchtenden Gründen sucht und nicht aufgibt, bis man die Lösung hat. Heute bin ich mir dessen
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