Flüsterherz
wischte mir mit der anderen Hand verstohlen über die Wange.
Easy hielt mir ein Taschentuch hin. »Damit geht’s besser.« Als unsere Hände sich berührten, spürte ich einen Moment lang seine Wärme und bekam spontan zittrige Knie.
»Klingt nicht gut«, sagte er, als er die SMS gelesen hatte. »Ruf sie doch mal an.«
»Hab ich versucht, aber sie geht nicht ran. Ich sehe besser mal nach ihr. Der Abend ist eh gelaufen.« Ups! Was hatte ich nun schon wieder gesagt? Hoffentlich nahm er das nicht persönlich. »Ich … ich meine, du … äh … musst doch sicher gleich wieder auflegen, oder?«
»Gerade hab ich Pause«, sagte er. »Was ist? Magst du die Cola nicht? Willst du lieber ein Wasser?«
»Nein, nicht nötig.«
Ich trank einen Schluck und überlegte dabei fieberhaft, was ich sagen könnte: etwas über die Schule vielleicht oder über seine Musik. Doch als ich in seine grünen Augen sah, fiel mir absolut nichts mehr ein.
»Wie gefällt’s dir denn hier?«, fragte Easy. »Du solltest öfter kommen.« Er lehnte sich zurück und trank von seiner Cola. »Ich bin bald fertig mit Auflegen. Bist du dann noch da? Oder musst du gleich los?«
Ich murmelte etwas vor mich hin. In meinem Kopf überschlugen sich tausend Gedanken, aber keiner davon passte als Antwort: Nein, ich bin sonst nie hier – nein, der Abend ist eine Katastrophe – am liebsten würde ich jetzt gleich nach Hause gehen – es ist so toll, dass du da bist und mit mir redest – ich möchte gern den Rest des Abends deine Hand halten und mit dir tanzen – keine Ahnung, warum mir nichts zu sagen einfällt – ich will jetzt auf keinen Fall weg, schon gar nicht zu Tibby …
Hilfe! Diese ganzen widersprüchlichen Gefühle machten mich völlig verrückt! Mir war, als hätte ich einen Eisklumpen in der Kehle, vor lauter Angst, mir könnte irgendwas Blödes rausrutschen, das alles verdarb.
Mit Mühe brachte ich ein Lächeln zustande, mehr war nicht drin.
»Kennst du hier viele Leute?«, fragte Easy.
»Eigentlich nicht«, presste ich hervor. »Ich kenne nur dich und Tarik. Von unserer Schule sind sonst kaum welche da. Kennst du denn viele?« Sehr gut, drei normale Sätze, ohne zu stocken.
»Ein paar. Tarik ist wohl der, mit dem du vorhin getanzt hast, oder? Ist er dein Freund?«
Was sollte ich sagen? Tarik ist eine selbstverliebte männliche Tanzmaus, die sich manchmal an einen heftet wie eine Klette?
Ich schüttelte den Kopf, aber Easy guckte bereits woandershin. Zu Danny, die sich auf der Tanzfläche verausgabte. Ich sah, wie sie Easy zulachte. Frech, herausfordernd, sexy.
Blödes Flittchen!
»Ich muss jetzt wieder auflegen«, sagte Easy. »Meine letzte Runde. Bist du nachher noch da?«
Letzte Runde? So spät war es schon? Für einen kurzen Moment malte ich mir aus, wie es wäre, auf Easy zu warten, aber dann siegte die Vernunft. Ich war hundemüde. Und außerdem musste ich wohl oder übel zu Tibby. Nach Hause konnte ich auf keinen Fall.
»Ich … äh … muss gehen«, sagte ich.
»Na denn. Ich hoffe, das mit deiner Freundin renkt sich wieder ein. Und viel Spaß in Ägypten. Wann geht’s denn los?«
Das hatte er sich also gemerkt.
»Morgen Abend. Ich schreib dir ’ne Karte, wenn du mir deine Adresse mailst.«
»Okay. Dann mach’s gut. Tschüss.« Ein letzter Blick, er hob die Hand und … war weg.
Sekunden später sah ich ihn bei Danny stehen, die lebhaft auf ihn einredete.
Enttäuscht steckte ich mein Handy ein. Dann grub ich meine Jacke aus dem Riesenberg an der Garderobe.
Auf dem Weg zum Ausgang kam ich an einem Spiegel vorbei. Ein bleiches Vampirgesicht mit roten Flecken und schwarzen Streifen starrte mich hohläugig an. Lieber Himmel, ich sah zum Fürchten aus! Nichts wie weg hier!
Ich rannte los und kam mir unendlich blamiert vor.
11
Der kalte Nachtwind trieb mir Sprühregen ins Gesicht. Ich fuhr mit dem Rad durch verlassene Straßen und wurde dabei allmählich ruhiger.
Wohin jetzt?
Zu Tibby und bei ihr übernachten? Eher nicht.
Zu Tibby und mich wieder mit ihr vertragen?
Je mehr der Regen mein erhitztes Gesicht kühlte, desto weniger Lust hatte ich dazu, nach ihrer mehr als ätzenden SMS. Selbst wenn ich mich irgendwie blöd verhalten haben sollte, ich hatte nichts verbrochen, und ihre Reaktion war hundertprozentig nicht okay. Auf keinen Fall wollte ich mich jetzt bei ihr einschleimen, damit sie mich in ihrem Zimmerübernachten ließ. Das erlaubte mein Stolz nicht. Und mein Ehrgefühl auch nicht. Aber mein Stolz und
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