Flüsterherz
weiter. Zur Orchesterprobe«, sagte Eileen. »Wie geht’s dir denn? Schon ein bisschen besser?«
»Mhja.«
Tibbys Stimme klang flach, völlig ohne Ausdruck. »Tonlos« würde in einem Roman stehen, obwohl tonlos sprechen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber falls da ein Ton war, dann war er grau und trostlos.
»Weißt du schon das Neueste von Anna und Easy?«, fragte Eileen.
»Ich weiß von nichts.«
Ich begann zu erzählen: »Also, das war so: Ich hab mit ihm gechattet, und als er wissen wollte, was für eine Überraschung ich für ihn hätte, hab ich geschrieben, komm vorbei, nur so zum Spaß, und …«
»Stell dir vor, er ist tatsächlich gekommen!«, fiel Eileen mir mit leuchtenden Augen ins Wort. »Wahnsinnig romantisch, oder?«
Tibby schwieg.
»Wie läuft’s denn bei dir und Tarik?«, fragte Eileen.
»Verschon mich mit dem.« Tibby nahm Whisky auf den Schoß.
»Hör mal, Tibby, warum rufst du mich nie zurück oder mailst mir mal?«, fragte ich unvermittelt.
»Mein Guthaben ist alle.«
Wieder dieser flache Ton.
»Ich mach mir Sorgen um dich. Willst du vielleicht mein altes Handy haben? Da ist noch Guthaben drauf und fotografieren kannst du damit auch.«
»Nicht nötig.«
»Meinst du das Handy? Oder dass ich mir Sorgen mache?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Tibby.
Jetzt kapierte ich überhaupt nichts mehr und hatte das Ganze allmählich auch satt.
Dann rutsch mir doch den Buckel runter mit deiner Mitleidsmasche
, dachte ich verärgert, auch wenn ich das nicht wollte. Ich sagte nichts.
»Kommst du Montag wieder in die Schule?«, fragte Eileen.
»Ja. Montag. Glaub schon«, sagte Tibby.
Eileen stand auf. »Wir müssen los. Gute Besserung weiterhin. Erhol dich schön.«
Wir machten uns auf den Weg zur Orchesterprobe.
»Na denn, ist doch alles in Butter«, sagte Eileen.
»Findest du? Ist dir nicht aufgefallen, dass sie völlig apathisch war?«
»Das ist normal bei ’ner Grippe. Als du nach deiner Erkältung wieder in der Schule warst, bist du auch erst wie ein halber Zombie rumgelaufen.«
Tja, vielleicht hatte Eileen recht. Vielleicht musste Tibby sich einfach noch erholen. Trotzdem, ihr leerer Blick ging mir nicht aus dem Kopf.
Abends rief ich noch mal bei Tibby an.
»Ja?« Es klang barsch.
»Ich bin’s. Anna.«
»Ach. Hallo.« Mehr nicht.
»Ist bei dir wirklich alles okay?«, fragte ich. »Ich muss die ganze Zeit an dich denken.«
»Alles okay.«
Ich wusste nicht weiter. »Kommst du nun am Montag wieder in die Schule?«, fragte ich.
»Ja. Mal sehn.«
»Komm doch. Du fehlst mir.«
Schweigen.
»In der Schule ist es schön warm.«
»Ach ja«, sagte sie. »Dann will ich dich mal nicht länger aufhalten. Du hast bestimmt zu tun.«
»Wir können ruhig …«
»Tschüss.«
Völlig verdattert starrte ich den Hörer an, der in meiner Hand tutete.
Was sollte das nun wieder? Da stimmte etwas nicht, ganz eindeutig! Ich fasste einen Entschluss: Wenn Tibby am Montag nicht in die Schule kam, würde ich zu JP gehen.
9
Ausgerechnet am nächsten Wochenende, an dem ich Zeit gehabt hätte, mir Easys Anlage anzusehen oder mit ihm auszugehen, ausgerechnet dann war er in Den Haag bei seinem Vater. Während er am Strand entlangging, mit seinem Bruder Pommes aß und Computerspiele spielte, musste ich mich mit ein paar SMS und einer einzigen Mail begnügen.
Das Wochenende wollte einfach nicht vergehen. Und in der Nacht auf Montag fand ich kaum Schlaf.
Ich ging früher als sonst in die Schule, damit ich Easy vor dem Unterricht noch sehen konnte. Ich wartete in der Pausenhalle und schaute mich suchend in den Fluren um, doch dann klingelte es, und ich hatte ihn noch immer nicht entdeckt.
Tibby war auch nicht da.
Egal, dachte ich erst. Aber dann ließ mir auch das keine Ruhe. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und schickte ihr in Latein heimlich eine SMS.
»Und? Schon eine Antwort bekommen?«, klang es plötzlich hinter mir.
Ich zuckte zusammen. Der fiese Fred!
»Eigentlich müsste ich jetzt dein Handy konfiszieren.«
»Bitte nicht!«, rief ich.
»Oh doch! Aber das scheint mir nicht die richtige Strafe zu sein. Mach das Ding aus und steck es weg. Und dann guck dir an, was ich für dich habe. Eine Zusatzaufgabe, wenn man so will.«
Er holte ein großes Buch aus seiner Tasche. Einen prachtvollen Band über die Schätze von Tutenchamun, Hatschepsut, Ramses und Echnaton.
»Die Ägyptologie ist eine bedeutende, aber auch höchst komplexe Wissenschaft«, sagte er. »Deshalb tust du als
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