Flüstern in der Nacht
entgegnete Tony. »Kannst du das deinem Captain vortragen?« »Das hätte keinen Sinn. Harry Lubbock würde das für den Anruf eines Spinners halten.« »Aber die Stimme!«
»Das reicht nicht, um Harry zu überzeugen.« Sie seufzte. »Und was nun?«
»Wir müssen sorgfältig nachdenken«, meinte Tony. »Wir müssen die Sache von allen Seiten betrachten, vielleicht stoßen wir dann auf etwas, was wir übersehen haben.« »Könnten wir das beim Essen tun?« fragte sie. »Ich habe schrecklichen Hunger.« »Wo möchtest du denn essen?«
»Da wir beide ziemlich mitgenommen aussehen, schlage ich eine dunkle Ecke vor.«
»Eine Nische im hinteren Teil von Casey's Bar?« »Genau das Richtige«, antwortete sie.
Auf der Fahrt nach Westwood dachte Tony über Hardesty nach und über das, was der Mann gesagt hatte: daß die Toten in gewisser Weise gar nicht tot waren.
Bruno Frye streckte sich im hinteren Abteil seines Dodge-Kombi aus und versuchte, Schlaf zu finden. Es handelte sich nicht um denselben Lieferwagen, mit dem er letzte Woche nach Los Angeles gekommen war; den hatte die Polizei sichergestellt; inzwischen war er von einem Vertreter Joshua Rhineharts übernommen und dem Nachlaß gemäß wie alle beweglichen Güter ordnungsgemäß verwertet worden. Diesen neuen Lieferwagen, dunkelblau mit weißen Zierstreifen, hatte Frye gestern bei einem Dodge-Händler am Stadtrand von San Franzisko erworben und bar bezahlt; ein hübscher Wagen.
Er fuhr fast den ganzen gestrigen Tag durch die Straßen und traf gegen Abend in Los Angeles ein. Er war sofort zu Katherines Haus in Westwood gegangen.
Diesmal benutzte sie den Namen Hilary Thomas, aber er wußte, daß es Katherine war. Katherine.
Wieder aus dem Grab zurückgekehrt. Das dreckige Miststück.
Er brach in ihr Haus ein, aber sie war nicht da. Dann kam sie schließlich kurz vor Anbruch des Morgens nach Hause; diesmal hätte es beinahe geklappt. Er konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen, weshalb die Polizei erschienen war. In den letzten vier Stunden fuhr er fünfmal an ihrem Haus vorbei, konnte aber nichts von Bedeutung ausmachen. Er wußte nicht, ob sie da war.
Er war verwirrt. Durcheinander. Und er hatte Angst. Er wußte nicht, was er tun sollte, wußte nicht, wie er es anstellen sollte, sie ausfindig zu machen. Seine wirren unkonzentrierten Gedanken bereiteten ihm immer größere Schwierigkeiten. Er fühlte sich benommen, durcheinander, wie berauscht, obwohl er nichts getrunken hatte.
Er war müde. Unendlich müde, hatte seit Sonntag nacht nicht mehr geschlafen, und auch da nicht viel. Könnte er nur ein wenig Schlaf nachholen, so würde er wieder klar denken können.
Und dann würde er sich erneut daranmachen, die Verfolgung dieses dreckigen Miststücks aufzunehmen.
Ihr den Kopf abschneiden.
Ihr das Herz herausreißen. Ihr einen Pflock durchs Herz stoßen. Sie töten. Sie ein für allemal töten. Aber zuerst brauchte er Schlaf.
Er streckte sich im Ladeabteil des Lieferwagens aus und dankte der Sonne, die durch die Windschutzscheibe hereinstrahlte, über die Vordersitze und nach hinten in den Laderaum. Er hatte Furcht, im Dunkeln zu schlafen. Ganz in der Nähe lag ein Kruzifix. Und zwei zugespitzte Holzpflöcke.
Er hatte kleine Leinensäckchen mit Knoblauch gefüllt und über jeder Tür eines der Säckchen mit Klebeband befestigt. Das würde ihn vielleicht vor Katherine schützen, aber er wußte sehr wohl, daß diese Dinge den Alptraum nicht von ihm fernhalten konnten. Dieser Alptraum würde sich jetzt wieder wie immer einstellen, wenn er schlief, so wie es sein ganzes Leben lang gewesen war. Und dann würde er aufwachen mit einem Schrei, der sich in seiner Kehle fing. Und wie jedesmal würde er sich nicht daran erinnern können, um was für einen Traum es sich gehandelt hatte. Aber beim Aufwachen würde er das Wispern hören, das laute und doch unverständliche Wispern, und er würde spüren, wie ihm etwas über den Körper kroch, über den ganzen Körper, über sein Gesicht, das versuchte, in seinen Mund und seine Nase einzudringen, irgend etwas Schreckliches, Grauenhaftes; und in den ein oder zwei Minuten, die es dauern würde, bis diese Wahrnehmungen verblaßten, würde er sich nichts so sehr wünschen, als tot zu sein.
Er hatte eine panische Angst vor dem Schlaf, aber er brauchte ihn. Er schloß die Augen.
Wie üblich herrschte zur Mittagszeit im Speisesaal von Casey's Bar unerträglich lauter, fast ohrenbetäubender Lärm. Aber im anderen
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